Arbeitswelten der Zukunft – 5 Antworten aus der Personal- und Organisationsforschung  

Heute sprechen wir mit Prof. Dr. Marco Zimmer, dem Direktor des Instituts für Personal- und Organisationsforschung (ipo) der FOM Hochschule. Die Zukunft der Arbeit ist wichtiger Bestandteil der Arbeit am Institut und seines BMBF-geförderten Forschungsprojekts „Kompetenzen von Mitarbeitern/innen in der digitalisierten Arbeitswelt“, kurz: KODIMA.

Prof. Dr. Marco Zimmer, Direktor des Instituts für Personal- und Organisationsforschung (ipo) forscht an der FOM Hochschule zu Arbeitswelten der Zukunft (Foto: FOM)

Dies ist Teil acht unserer Interviewserie zum Thema des Wissenschaftsjahres 2018 „Arbeitswelten der Zukunft“.

Zudem hat die FOM Hochschule kürzlich einen Sammelband mit dem Titel „Arbeitswelten der Zukunft. Wie die Digitalisierung unsere Arbeitsplätze und Arbeitsweisen verändert“ herausgegeben. Hier stellen Forscherinnen und Forscher der FOM Details und Ergebnisse ihrer Studien und Projekte zum Thema aus den verschiedensten Perspektiven vor. Dabei wird die Arbeitswelt aus der Makroperspektive betrachtet, Arbeitswelt, Dienstleistung und Technik werden beleuchtet. Und es geht um Arbeitsplätze der Zukunft sowie den Arbeitsplatz jeweils im Zusammenhang mit der Gesundheit, dem Generationsmanagement, der Organisation und Diversity-Aspekten.

Professor Zimmer hat gemeinsam mit Halina Ziehmer M.A., wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt KODIMA, auch hier einen Beitrag beigesteuert, Titel: „Produktiver durch Digitalisierung? – Produktivitätsparadox und Entgrenzung von Arbeit“.

Professor Zimmer, wie wird sich die Arbeit in dem Bereich, in dem Sie forschen, in Zukunft verändern?

Prof. Dr. Marco Zimmer: Das ist schwierig zu sagen, da sich die Konsequenzen der Digitalisierung, die einer der hauptsächlichen Treiber der Veränderung ist, noch nicht vollständig absehen lassen. Allerdings lassen sich bereits jetzt einige Tendenzen absehen: Dazu zählen zum Beispiel die zunehmende Automatisierung einfacher administrativer Tätigkeiten, analog zu den Entwicklungen, wie wir sie in der Vergangenheit in der Produktion erlebt haben. Eine andere Tendenz ist die weitergehende Flexibilisierung von Arbeitszeiten und Arbeitsorten, die auch bereits seit einiger Zeit unter dem Stichwort Entgrenzung von Arbeit diskutiert wird, aber durch die Digitalisierung neuen Schub erhält. Als drittes Beispiel würde ich den zunehmenden Einsatz von Big Data auch im Personalmanagement nennen, wenn beispielsweise die Personaldaten eines ERP-Systems im Hinblick auf die strategische Personalplanung analysiert werden oder die Daten smarten Maschinen, die permanent unter anderem über künftigen Wartungsbedarf informieren, an die Personaleinsatzplanung übermittelt werden und dort eine Echtzeitplanung ermöglichen.

Welche Kompetenzen werden gefragt sein?

Prof. Dr. Marco Zimmer: Hier muss meines Erachtens die individuelle und die organisationale Ebene unterschieden werden: Auf der individuellen Ebene spielen überfachliche Kompetenzen eine herausragende Rolle. Angesichts der Geschwindigkeit und der fehlenden Absehbarkeit des technischen Fortschritts sind Lern- und Transferfähigkeit die Kompetenzen, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zunehmend benötigen. Niemand kann mehr davon ausgehen, dass sich das Tätigkeitsfeld, für das sie oder er ausgebildet wurde, nicht grundlegend verändern wird. Eine weitere überfachliche Kompetenz, die im Zuge der Entgrenzung von Arbeit mehr und mehr Bedeutung erlangt, ist das eigenverantwortliche Management der Abgrenzung von Arbeit und Freizeit. Wenn ich prinzipiell immer und überall arbeiten kann, ist es wichtig, hier Grenzen ziehen zu können – auch gegenüber Ansprüchen von Kollegen und Vorgesetzen.

Auf Unternehmensebene sehe ich als wichtigste Kompetenz die Fähigkeit der Organisation zur Unterstützung informeller Abstimmungs- und Austauschprozesse. Die mit der Digitalisierung einhergehende Formalisierung von Arbeitsprozessen lässt immer eine Formalisierungslücke, die von den Mitarbeitenden eigenverantwortlich durch informelle Abstimmungsprozesse gefüllt werden muss. Wird diese Notwendigkeit seitens der Organisation nicht hinreichend unterstützt oder sogar ignoriert, so müssen die Prozessbeteiligten derartige Abstimmungen quasi ehrenamtlich „on top“ vornehmen oder die Abstimmung unterbleibt ganz, was sich dann in der Regel negativ auf die Leistungserstellung auswirkt.

Welche Rolle spielt die Forschung allgemein und Ihre im Speziellen bei der Bewältigung der Veränderungen?

Prof. Dr. Marco Zimmer: Die Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung sind stark technologie- und praxisgetrieben. Es werden technische Optionen entwickelt, die nach Anwendungen suchen, und in der Praxis werden dann Anwendungsmöglichkeiten gesucht und ausprobiert. Die personalwirtschaftliche und organisationstheoretische Forschung ist vornehmlich damit beschäftigt, einerseits zu verstehen, was da in der betrieblichen Praxis passiert, und zu analysieren, warum bestimmte Formen der Nutzung der Optionen von Digitalisierung besser funktionieren als andere. Auf der Basis solcher Analysen kann sie Hinweise entwickeln, durch welche organisatorischen und personalwirtschaftlichen Maßnahmen ein bestimmter technologieinduzierter Wandel besser flankiert werden sollte.

Das ist auch genau das, was wir im Rahmen des Verbundprojekts KODIMA tun: Wir analysieren in den Bereichen Organisation und Führung, wie Steuerberatungen mit der Digitalisierung umgehen und in welchem Ausmaß sie die Optionen, die die Digitalisierung für sie bietet, nutzen. Und wir entwickeln dann Vorschläge, wie die Kanzleien die Möglichkeiten der Digitalisierung noch weitergehend nutzen beziehungsweise auftretende Hindernisse vermeiden können.

Welche Veränderungen gefallen Ihnen und welche finden Sie gegebenenfalls bedenklich?

Prof. Dr. Marco Zimmer: Intelligent und verantwortlich eingesetzt, bietet die Digitalisierung viele Möglichkeiten der räumlich-zeitlichen Flexibilisierung von Arbeit und vergrößert damit auch die Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dies kann unter anderem die Chancen von Eltern – vornehmlich Müttern –, Kinder und Berufstätigkeit unter einen Hut zu bringen, erhöhen. Ein Thema, das nicht nur Unternehmen, angesichts des Fachkräftemangels in vielen Branchen, interessiert, sondern auch die betroffenen Eltern. Andererseits hängt die Antwort auf die Frage, ob Eltern von der Flexibilisierung wirklich profitieren können, davon ab, wer bestimmt, wie flexibilisiert wird. Hier lassen sich zum Teil Tendenzen beobachten, dass Unternehmen von den Beschäftigten eine ausufernde Flexibilität erwarten, die nicht nur Arbeitszeitschutzgesetzen widerspricht.

Ein anderer problematischer Aspekt der Digitalisierung ist die zunehmende Abhängigkeit von Unternehmen von einer zentralen IT und dem Funktionieren der Datenübermittlung über das Internet. Fällt eine dieser Komponenten aus oder wird beispielsweise durch einen Hackerangriff sabotiert, ist oftmals die Arbeitsfähigkeit des gesamten Unternehmens gefährdet.

Für 2019 hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung ja bereits das Thema „künstliche Intelligenz“ angekündigt. Welches Thema würden Sie sich im Anschluss daran wünschen und warum?

Prof. Dr. Marco Zimmer: Nachhaltigkeit im sozialen und ökologischen Sinne wäre ein mögliches Thema. Zwar gab es 2012 mit dem Zukunftsprojekt Erde bereits ein vergleichbares Thema, doch hat das Thema eine so große gesellschaftliche und wissenschaftliche Relevanz, dass es meines Erachtens gerne acht Jahre später erneut auf die Agenda kommen sollte. Gerade die durch die Digitalisierung gegebenen Möglichkeiten verdienen eine kritische Hinterfragung vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeit.

Herzlichen Dank, Professor Zimmer!

 

Prof. Dr. Marco Zimmer lehrt unter anderem Digitalisierung sowie angewandte qualitative und quantitative Personalforschung am FOM Hochschulzentrum Hamburg.

Die Teile einszweidreivierfünfsechs  und sieben der FOMforscht-Interviewserie zum Thema Arbeitswelten der Zukunft im Kontext der unterschiedlichsten Fachbereiche, in denen an der FOM Hochschule geforscht wird, können auch hier im FOM Forschungsblog nachgelesen werden.

Das Interview führte Yasmin Lindner-Dehghan Manchadi M.A., Referentin Forschungskommunikation, 10.12.2018