Zehn Jahre Digital Health im Fokus – Ein Interview zur Erfolgsgeschichte der Tagung „eHealth & Society“  

Zehn Jahre „eHealth & Society“ (eHS) – ein Jubiläum, das nicht nur für fachliche Exzellenz steht, sondern auch für beständiges Engagement, Teamgeist und Innovationskraft. Hinter der erfolgreichen Transfertagung steht ein engagiertes Tagungskomitee, das mit Weitblick und Leidenschaft Jahr für Jahr den Austausch zwischen Gesundheitswissenschaften und -praxis ermöglicht.

Im Gespräch gaben uns drei Mitglieder des Komitees Einblick in die Geschichte, den Geist und die Weiterentwicklung der Tagung: Tagungsleiter Prof. Dr. habil. Manfred Cassens, der die Tagungsreihe mit ins Leben gerufen hat, Prof. Dr. Thomas Städter, der das Format als Mitorganisator seit vielen Jahren mitprägt – und Dr. Nicole Gröne, ein neues Gesicht im Team, das mit frischen Impulsen zur Jubiläumsausgabe beigetragen hat.

Herr Professor Cassens, zehn Jahre eHealth & Society bedeuten eine echte Erfolgsgeschichte. Sie bedeuten viele Menschen, viele Ideen, viel Wandel. Was macht für Sie – auch über Inhalte hinaus – den besonderen Geist dieser Tagung aus?

Prof. Dr. habil. Manfred Cassens: Die zahlreichen Kommentare der sehr bunten Mischung an Teilnehmenden berichten alle von einer familiären Atmosphäre, die sich über die Jahre entwickelt hat – aber auch bereits beim ersten Mal erlebt wird. So ist es etwas Besonderes, wenn der Ärztliche Direktor des weltweit bekannten LMU-Klinikums mit einer Rentnerin und einem Studenten des Gesundheitsmanagements während des Mittagessens über einen Vortrag reden – alle drei sind gleichberechtigt und vertreten ihre Positionen. Dann ist es für mich persönlich der partizipative Geist, mit dem wir im Tagungskomitee zusammenarbeiten. Und letztlich sind es die erst später dazugekommenen Filmbeiträge, mit denen sich die Studierenden in Form des Aaron Antonovsky-Wettbewerbs einbringen. Da steckt so unfassbar viel Engagement in den jungen Leuten, die sich so auch aktiv in „Ihre“ Tagung einbringen können.

Die diesjährige Jubiläumsausgabe war wieder geprägt von starken Keynotes, innovativen Formaten und regem Austausch. Was hat Sie persönlich in diesem Jahr besonders berührt oder inspiriert?

Prof. Dr. habil. Manfred Cassens: Wir haben in jedem Jahr tolle Vortragende, die mit großem Engagement und – auch das sollte man erwähnen – kostenneutral bei uns sprechen. In diesem Jahr ist sicherlich zu erwähnen, dass mit Prof. Joseph Hecken der Vorsitzende des Innovationsausschusses beim Gemeinsamen Bundesausschuss bei uns war. Eine Teilnahme, die nicht nur unter Insidern als Auszeichnung erster Klasse gilt. Und wenn Sie von „berühren“ als einem sehr emotionalen Begriff sprechen, so denke ich vor allem an den Siegerinnenbeitrag im heurigen Aaron Antonovsky-Wettbewerb, bei dem die Sprecherin mit ihrem Migrationshintergrund in der Einleitung von „meiner bayerischen Heimat“ ausging. Das war und ist für mich eine zentrale Botschaft, nicht nur, weil diese Aussage wenige Tage vor der Bundestagswahl fiel. Hier geht es um gelungene Integration und Beispiele dafür, wie gesellschaftliche Integration vorgelebt und gelebt wird.

Welche Entwicklungen im eHealthDiskurs haben Sie in den letzten zehn Jahren besonders bewegt – und welchen Impuls möchten Sie für die nächsten Jahre setzen?

Prof. Dr. habil. Manfred Cassens: Diese zehn Jahre sind nach reinem Präsenzstart von einer Covid-bedingten voll digitalen Veranstaltung und infolgedessen der Umstellung auf ein hybrides Format geprägt. Demgegenüber ist unser Gesundheitssystem aus einer Vielzahl von Gründen leider ein sehr starres. Das beste Beispiel ist die Einführung der ePA – der elektronischen Patientenakte – die wieder einmal an allen Ecken und Enden zu scheitern droht. Auch in diesem Jahr haben wir im Nachgang der Tagung viele Impulse unserer Schirmherrin, der Bayerischen Landtagspräsidentin Ilse Aigner, zukommen lassen. Die Erkenntnis: Auch wir gemeinsam können an dieser verfahrenden Situation nichts ändern. Das System selbst, das zeigt die ePA deutlicher als alles andere, steht sich bei technisch möglichen und erforderlichen Änderungen zu oft aufgrund divergierender Partikularinteressen im Weg. Covid hat zweifelsfrei einen Digitalisierungsruck ausgelöst. An der Dynamik dieser Zeit sollte mindestens in Sozialmedizin und öffentlichem Gesundheitsdienst unbedingt festgehalten werden. Was darüber hinaus die sogenannten Insellösungen auf der Ebene einzelner Kliniken betrifft, so konnten in den letzten 10 Jahren schon bahnbrechende Erfolge erzielt werden. Da müssen Sie sich nur einmal hinsichtlich der Geräte die Veränderungen in den OP-Sälen anschauen. Das ist schon faszinierend und lässt mich gespannt auf das kommende Jahr schauen, wenn das Thema „Designobjekt Mensch – Künstliche Intelligenz im Spannungsfeld von Fortschritt und Verantwortung“ lautet. Jahr für Jahr setzen wir mit unseren Tagungsthemen gezielte Impulse, die auf die jeweils notwendigen Entwicklungen im Gesundheitssystem zum entsprechenden Zeitpunkt ausgerichtet sind.

Herr Professor Städter, als weitere erfahrene Stimme im Organisationsteam: Was war Ihr persönlicher „Highlight-Moment“ aus den bisherigen zehn Tagungen?

Prof. Dr. Thomas Städter: Den einzelnen Highlight-Moment vermag ich nach den vielen Jahren nicht mehr herauszustellen, es gab derer einige. Gut erinnern kann ich mich noch an die ironische Aussage von Herrn Prof. Dr. Spinner im Rahmen seines Vortrags auf der eHS 2022, dass ein „Faxgerät“ das wichtigste Werkzeug zum Management der Pandemie sei. Damit spielte er auf den Digitalisierungsrückstand im deutschen Gesundheitswesen, fehlende IT-Standards und mangelnde Interoperabilität an, die als Grundlage für eine sektorübergreifende Kommunikation unverzichtbar sind. Die aus den Tagungen resultierenden Erkenntnisse, Konsequenzen und Empfehlungen haben wir jeweils in Eckpunktepapieren zusammengefasst, die der Landtagspräsidentin zur Verfügung gestellt wurden. Als besonderes Merkmal möchte ich auch unsere Tagungsbände hervorheben, die im Verlag Springer Gabler erscheinen. Eines dieser Herausgeberwerke generalisiert den Fokus unserer Tagungen: „Wege zum neuen Gesundheitssystem –‚Change by Design‘ oder ‚Change by Disaster‘?“.

Als langjähriges Mitglied haben Sie viele Etappen begleitet. Gibt es aus Ihrer Sicht einen „unsichtbaren Erfolgsfaktor“, der die Kontinuität und Qualität der Tagung mitträgt?

Prof. Dr. Thomas Städter: Als Wirtschaftsinformatiker war es mir stets ein Anliegen, die technischen Herausforderungen im Gesundheitswesen, deren Entwicklung und Umsetzung kritisch zu hinterfragen und konstruktive Lösungsansätze von den Referentinnen und Referenten einzufordern. Mein Freund und Kollege Cassens hingegen fokussierte den Bereich der medizinischen Versorgungslandschaft und die damit einhergehenden gesellschaftlichen Aspekte. Im Team ergänzen wir uns sehr gut und arbeiten hervorragend zusammen. Es ist jedoch wichtig zu erwähnen, dass auch die Anregungen und die Unterstützung unserer Kooperationspartnerinnen und -partner maßgeblich zu unserem Erfolg beigetragen haben und dies hoffentlich noch viele weitere Jahre tun werden!

Frau Dr. Gröne, Sie haben das Organisationsteam in diesem Jahr zum ersten Mal verstärkt – wie haben Sie das zehnjährige Jubiläum erlebt, und in welchen Aspekten konnten Sie neue Impulse einbringen?

Dr. Nicole Gröne: Es war mir eine große Freude, die 10. eHealth & Society erstmals mitzuorganisieren – insbesondere, da ich die Tagung in den vergangenen Jahren bereits als Teilnehmerin sehr geschätzt habe. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Veranstaltung beeindruckend weiterentwickelt: von einer eher regional ausgerichteten Tagung, etwa 2017 zum Thema „Digitales Management von Gesundheitsregionen“, hin zu einer Konferenz, die heute bundesweit Beachtung findet und zentrale aktuelle Fragen unseres Gesundheitswesens behandelt. Die Themen der vergangenen Jahre, wie beispielsweise 2024: „Gesundheitsversorgung sicherstellen – aber wie?“, oder zur diesjährigen Jubiläumsveranstaltung „Das Digitalisierungsgesetz ist da – Na und?“, reflektieren dies. Trotz ihrer wachsenden Reichweite hat die eHealth & Society den eingangs auch schon von Herrn Cassens erwähnten familiären Charakter bewahrt. Der Austausch findet hier auf Augenhöhe statt – unabhängig von Hierarchien, Berufsgruppen oder fachlichen Hintergründen. Gerade daraus entstehen oft besonders wertvolle Impulse. Ich selbst komme aus der Wirtschaft und lehre an der FOM im Themenfeld „Digital Health“. Es ist mir ein besonderes Anliegen, Menschen – insbesondere die nächste Generation von Fach- und Führungskräften – dafür zu motivieren und zu befähigen, den digitalen Wandel im Gesundheitswesen proaktiv mitzugestalten. Umso mehr hat es mich gefreut, dass ich bei der 10. eHealth & Society eigene inhaltliche Akzente setzen konnte, etwa durch einen Parallel-Track, der sich dediziert mit Innovation und Unternehmertum im Gesundheitswesen befasste. Denn Fortschritt, gerade in der in der digital unterstützten gesundheitlichen Versorgung, entsteht dann, wenn Menschen neue technologische Möglichkeiten aufgreifen und bedarfsgerecht nutzbar machen. Insgesamt war es ein bereicherndes Erlebnis, Teil des Organisationskomitees zu sein und zur Weiterentwicklung der Tagung beizutragen – sowohl inhaltlich als auch im Austausch mit vielen engagierten Teilnehmenden.

Herzlichen Dank an Sie alle für diese Einblicke und weiterhin viel Erfolg für die Tagung! 

Weitere Informationen zur Tagung – die jährlich am FOM Hochschulzentrum München stattfindet und für die auch eine Online-Übertragung ermöglicht wird – finden Sie auf der Tagungs-Website unter https://www.ehealthandsociety.eu

Über ihr Engagement im Rahmen der eHealth & Society hinaus eint die drei, dass sie an der FOM Hochschule lehren. Prof. Cassens lehrt Gesundheitsmanagement und Sozialmanagement, Prof. Städter lehrt Wirtschaftsinformatik und Dr. Gröne lehrt Digital Health. Sie lehren am FOM Hochschulzentrum München sowie im Digitalen Live-Studium. Die beiden FOM Professoren forschen darüber hinaus am ifgs Institut für Gesundheit & Soziales, das Prof. Cassens auch leitet.

Das Interview führte Yasmin Lindner-Dehghan Manchadi M.A. | Referentin Forschungskommunikation der FOM Hochschule | 08.07.2025