Arbeitswelten der Zukunft – 5 Antworten aus der Arbeits- und Personalforschung  

Für Teil sieben unserer Serie zum aktuellen Wissenschaftsjahr, das sich den „Arbeitswelten der Zukunft“ widmet, haben wir mit Prof. Dr. Ulrike Hellert gesprochen. Sie ist Direktorin des Instituts für Arbeit & Personal (iap) an der FOM Hochschule. Die Zukunft der Arbeit ist wichtiger Bestandteil der Arbeit am Institut sowie seines aktuellen Forschungsprojektes „vLead: Modelle ressourcenorientierter und effektiver Führung digitaler Projekt- und Teamarbeit“.

Professorin Hellert, wie wird sich die Arbeit in dem Bereich, in dem Sie forschen, in Zukunft verändern?

Prof. Dr. Ulrike Hellert forscht an der FOM Hochschule unter anderem zu den Themen Arbeitszeit und Zeitkompetenz unter dem Einfluss der Digitalisierung (Foto: FOM/Tim Stender)

Prof. Dr. Ulrike Hellert: Die moderne Arbeitswelt ist durch vielfältige Veränderungen geprägt. Insbesondere ermöglichen technologische Entwicklungen zunehmend eine dezentrale Kooperation in virtuellen Arbeitsstrukturen. Es ist zu erwarten, dass sich hierbei die Geschwindigkeit der Veränderungen in Zukunft noch erhöht. Damit verbunden werden sich zahlreiche Chancen für Unternehmen und Beschäftigte ergeben, jedoch auch neue Risiken. Denn auch moderne Arbeit basiert auf sozialer Interaktion und bedarf vermutlich persönlicher Begegnung. 

Welche Kompetenzen werden gefragt sein?

Prof. Dr. Ulrike Hellert: Neben den methodischen und fachlichen Kompetenzen wird es in Zukunft insbesondere auf soziale und personale Kompetenzen ankommen. Eine aktive Kommunikation lebt von der Wahrnehmung auf unterschiedlichen Kanälen wie beispielsweise dem Stimmklang, der Mimik oder der Gestik. In der virtuellen Kommunikationswelt fallen viele dieser Botschaften weg oder werden reduziert vermittelt. Gute Kommunikationswege sind jedoch die Basis für vertrauensvolle Zusammenarbeit. Vertrauen wird von den Zeit- und Organisationskompetenzen sowie der Art und Güte der im Team stattfindenden Kommunikation beeinflusst.

Die größeren Handlungs- und Zeitspielräume, die sich in virtuellen Strukturen ergeben, sind nur durch die Fähigkeit der Selbstorganisation zu bewältigen, damit es nicht zu leistungsmindernden Überlastsituationen kommt. Eine effiziente Zusammenarbeit in virtuellen Teams scheint daher insbesondere von einer verlässlichen Vertrauensbasis sowie individueller und organisationaler Zeitkompetenz zu profitieren.

Welche Rolle spielt Ihre Forschung bei der Bewältigung der Veränderungen?

Prof. Dr. Ulrike Hellert: Im Rahmenunseres aktuellen Forschungsansatzes untersuchen wir interne und externe Einflussgrößen auf die beiden Ressourcen „individuelle Zeitkompetenz“ und „Vertrauen“ in digitaler Führung und Teamarbeit, die wiederum auf den Outcome wirken. So können individuelle Zeitkompetenz und Vertrauen die Leistungserstellung im Team positiv beeinflussen. Basierend auf qualitativen und quantitativen Erhebungen entwickeln wir in enger Kooperation mit Umsetzungspartnern aus der IT-Branche fundierte und praxisorientierte Instrumente in Form von verschiedenen Tools zur Förderung von Zeitkompetenz und Vertrauen. Ganz besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang das Prozessfeedback, das kontinuierlich prozessbegleitend wirksame Informationen zur Leistungsverbesserung liefern kann.

Welche Veränderungen gefallen Ihnen und welche finden Sie gegebenenfalls bedenklich?

Prof. Dr. Ulrike Hellert: Neue Technologienbieten aus meiner Sicht zahlreiche Chancen und Vorteile. Die digitale Kommunikation ermöglicht kurze und schnelle Wege, fördert Kooperation über Zeit und Raum hinweg und trägt zu innovativen Entwicklungen bei. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen können miteinander länderübergreifend kommunizieren, Experten sind vernetzt und können kurzfristig über Probleme und Lösungen diskutieren. Aber auch viele mühsame Arbeitsschritte, beispielsweise in der industriellen Produktion, werden durch digitaleStrukturen erleichtert.

Andererseits beobachte ich auch eine steigende Reizüberflutung bei den Beschäftigten. Ständig erreichbar zu sein, kontinuierlich die neuesten Nachrichten oder Informationen zu erhalten, kann das psychosoziale Wohlbefinden reduzieren und Lebenskohärenz einschränken. Der Mensch als biologisches Wesen benötigt Zeiten der Ruhe und Entspannung, Zeiten für achtsame Gespräche und Zeiten für kreative Ideen. Ressourcen können ja nur wirken, wenn sie ausreichend vorhanden und verfügbar sind.

Für das Wissenschaftsjahr 2019 hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung ja bereits das Thema „Künstliche Intelligenz“ angekündigt. Welches Thema würden Sie sich im Anschluss daran wünschen und warum?

Ich würde mir wünschen, dass der Mensch wieder stärker in den Mittelpunkt der Forschung rückt. Daher könnte ich mir Forschungsthemen vorstellen, die sich mit den notwendigen digitalen Kompetenzen im Sinne von gesundheitsgerechter und agiler Führung oder Stressbewältigungskompetenzen in der virtuellen Arbeitswelt beschäftigen. Dies ist wichtig, da die technologische Entwicklung viel schneller und dynamischer agiert als dies die Kompetenzentwicklung der Beschäftigten leisten können wird. Folglich entstehen zwischen den Anforderungen der Umwelt und den individuellen Ressourcen zeitliche Lücken. Das System Mensch ist zwar in der Lage sich durch Veränderungen anzupassen und die sogenannte Allostase herzustellen, jedoch braucht dies vor allem eines: Zeit.

Herzlichen Dank, Professorin Hellert! 

 

Prof. Dr. Hellert lehrt Wirtschaftspsychologie, Kompetenz- und Selbstmanagement sowie Gesprächskompetenz im Bachelor- und Masterbereich am FOM Hochschulzentrum Nürnberg.

Die Teile einszweidreivier, fünf und sechs unserer Interviewserie zu den unterschiedlichsten Fachbereichen, in denen an der FOM Hochschule geforscht wird, können auch hier im FOM Forschungsblog nachgelesen werden.

Das Verbundprojekt vLead (FKZ: Förderkennzeichen: O2L15A082) wird im Rahmen des Förderprogramms „Zukunft der Arbeit“ als Teil des Dachprogramms „Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“ aus dem Bundeshaushalt, Einzelplan 30, Kapitel 3004, Titel 68324, Haushaltsjahr 2017, sowie aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds der Europäischen Union (ESF), Förderperiode 2014-2020 finanziert. 

Das Interview führte Yasmin Lindner-Dehghan Manchadi M.A., Referentin Forschungskommunikation, 19.11.2018