Demografie interdisziplinär: Neuanfang mit 40 – auf die alten Tage  

Foto: Thinkstock/iStock
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29.04.2016 – Kann ein Weniger (an Menschen in Deutschland) auch ein Mehr (an Möglichkeiten für den Einzelnen) bedeuten? Mit dieser Frage haben sich Vertreterinnen und Vertreter der FOM Institute und KompetenzCentren befasst. Herausgekommen sind 12 individuelle Kurzbeiträge, die vielfältige Impulse und Denkanstöße liefern. Heute gewähren Prof. Dr. Lutz Hoffmann und Teresa Grauer vom KCI KompetenzCentrum für interdisziplinäre Wirtschaftsforschung & Verhaltensoekonomie Einblicke in die Ergebnisse des Projektes „Erfolgreich studieren 40+“.

Berufstätige zieht es immer häufiger an die Universität. Das ist nicht nur für sie eine große Herausforderung – auch die Hochschulen müssen sich umstellen.

Norbert Zachenhuber arbeitet hart daran, einen alten Traum wahr werden zu lassen. „Ich wollte immer schon ein Studium absolvieren, musste dieses Ziel aber immer wieder verschieben“, sagt der 50 Jahre alte Münchener. Nach dem Realschulabschluss war Zachenhuber gezwungen zu arbeiten, weil er das Geld brauchte. Er ließ sich zum Werkzeugmacher ausbilden und bestand auch die Meisterprüfung. Und dann musste er nebenbei erst sein Fachabitur nachholen, ehe er studieren durfte; zuvor hatte er noch im Vertrieb gearbeitet, und jetzt ist er, zusätzlich zum Studium, im Außendienst tätig. Mit 47 Jahren gab sich Norbert Zachenhuber einen Ruck: „Ich sagte mir, bevor ich 50 werde, muss es passieren.“ (FAZ – 25.04.2013)

Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Forschungsprojekt „Erfolgreich studieren 40+“ fragt: Wie lässt sich lebenslanges Lernen realisieren? Wie muss ein Studium für Ältere aussehen? Welche Anforderungen und Bedürfnisse haben sie? Ziel des Projektes ist die Verbesserung der Rahmenbedingungen eines berufsbegleitenden Studiums für ältere Studierende. Die Studierenden wurden zunächst in einer qualitativen und einer quantitativen Erhebung befragt. Aus den Ergebnissen der Befragungen wurden dann ab dem Wintersemester 2012/2013 Maßnahmen abgeleitet und erprobt, die die Studierenden während des Studiums unterstützen sollen. Diese Maßnahmen wurden bis zum Projektende (Herbst 2014) fortlaufend evaluiert und im Bedarfsfall umkonzeptioniert. Dort wo Maßnahmen erfolgreich etabliert werden können ist geplant, sie langfristig in das Studienkonzept der FOM zu integrieren. Das Projekt bezieht sich auf die an der FOM angebotenen Studiengänge Business Administration und International Management mit dem Abschluss Bachelor of Arts (B. A.).

Der demografische Wandel führt dazu, dass wir länger arbeiten – wir werden schließlich älter und können daher trotzdem eine beachtliche Zeit als Rentner genießen. Wenn wir länger arbeiten, bedeutet dies auch, dass das Wissen, mit dem Berufsanfänger starten, nicht bis zum Renteneintritt aktuell bleibt. Betrachtet man allein die technologischen Neuerungen der letzten zehn Jahre, wird dies deutlich. Um länger „employable“ zu sein, müssen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer also stetig dazulernen und sich weiterbilden. Diese Situation trifft auf den Tatbestand, dass immer mehr Arbeitsstellen eine hohe Qualifizierung erfordern. Aus einer sinkenden Anzahl von Personen müssen mehr Positionen mit hoher Qualifizierung besetzt werden. Diese Personen werden nicht nur aus jungen Hochschulabsolventinnen und Hochschulabsolventen rekrutiert werden können. Es wird daher mehr Menschen geben, die nach 20 Jahren im Berufsleben (noch einmal) studieren.

Noch gibt es in Deutschland – v. a. im Bachelor-Bereich – sehr wenige Personen, die mit 40 ein Studium beginnen. In den im Projekt untersuchten Studiengängen sind es gerade einmal 270 Personen bundesweit. Die Studierenden nehmen eine Sandwich-Position ein, und die ist leider etwas ungemütlich. Über Seniorenstudierende und das Lernen Alter Menschen macht man sich schon lange Gedanken. Auch das Lernen von Kindern und Jugendlichen steht sowohl von pädagogischer als auch von neurologischer Perspektive aus im Fokus des Interesses. Welche Lernumgebung, welches Lerntempo, wie viel Eigeninitiative und Freiraum, wie viel Lernkontrolle ist aber für 40jährige sinnvoll? Dazu gibt es bisher kaum Erkenntnisse. Zudem besteht das Problem, dass 40jährige eine viel heterogenere Gruppe sind als Jugendliche. Sie sind durch ihre Biografien bereits stark geprägt. Ihr Alter bringt es auch mit, dass die Lebensumstände enorm variieren: Die Bedürfnisse Alleinstehender in Teilzeitbeschäftigung und einer Person mit Vollzeitstelle und Kindern sind sehr unterschiedlich.

It’s not good, it’s not bad – it’s just different. Dieser aus der interkulturellen Kommunikation stammende Merksatz passt sehr gut auf das Lernverhalten der im 40+-Projekt untersuchten Studierendengruppe. Die Studierenden bemerken an sich selbst, dass sie mehr und anders fragen als ihre jüngeren Kommilitonen. Sie sind Lehrenden gegenüber kritischer, weil sie Sachverhalte hinterfragen und oft über jahrelange Berufserfahrung verfügen. Sie überprüfen die Theorie daher an der Wirklichkeit. Zudem möchten sie mit ihrem eigenen Wissen ernst genommen werden und dieses auch in Lehrveranstaltungen aktiv und interaktiv einbringen können.

40+-Studierende wollen wirklich verstehen. Sie wollen den Dingen auf den Grund gehen und fragen deshalb oft nach dem „warum?“. Hier passt der bekannte Witz, in dem einem Mediziner, einem BWLer und einem Philosophen die Aufgabe gestellt wird, ein Telefonbuch auswendig zu lernen. Während der Mediziner fragt „bis wann?“ und der BWLer „was kriege ich dafür?“, fragt der Philosoph „warum?“. 40+ Studierende sind im übertragenden Sinn die Philosophen unter den FOM Studierenden. Zu diesem Ergebnis passt auch, dass ältere Studierende häufiger aus einer intrinsischen Motivation heraus studieren. Es zählt weniger die bestandene Klausur, als ein breiteres und tieferes Verständnis der jeweiligen Fachinhalte. Dass Ältere kritisch hinterfragen, lässt sich auch aus neurobiologischer Sicht erklären. Ältere verknüpfen neues Wissen mit schon vorhandenem Wissen, sie stellen Neues sofort in einen Kontext. Während die Lerngeschwindigkeit mit dem Alter abnimmt und Auswendiglernen zunehmend schwer fällt, wächst die Fähigkeit, Dinge in Zusammenhängen zu begreifen.

Weiterbildungsangebote gibt es vielfach. Wer aber einen akademischen Abschluss an einer Hochschule anstrebt, muss schon genauer suchen. Öffentliche Hochschulen beginnen erst langsam, sich auf eine neue Generation von Studierenden einzustellen, indem sie Teilzeitstudiengänge einrichten. Private Hochschulen bieten auf diesem Gebiet mehr an: Sie sind auf eine Kundschaft, die berufsbegleitend studieren möchte vorbereitet und bieten neben Abend- und Wochenendunterricht auch Blockmodelle an. Die meisten Studienangebote gibt es im Bereich der Wirtschaftswissenschaften und in der Gesundheits- und Pflegewissenschaft. Wer eine Geistes- oder Sozialwissenschaft berufsbegleitend studieren möchte, hat es (noch) schwer – und wird zumeist auf Fernstudienangebote zurückgreifen müssen.

Es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass zunehmend mehr „best ager“-Studierende an den Hochschulen zu finden sein werden. Im Master-Bereich wachsen die Zahlen bereits heute stetig. Voraussichtlich wird dies auch bald in Bachelor-Studiengängen der Fall sein, denn Lebensläufe werden bunter und die Menschen werden häufiger als heute neu- und umlernen.

Prof. Dr. Lutz Hoffmann und Teresa Grauer, KCI KompetenzCentrum für interdisziplinäre Wirtschaftsforschung & Verhaltensökonomie 

 

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