Wirtschaft vordenken: Buzzwords der ökonomischen Zukunftsdebatte – Teil 4: New Work
Corporate Foresight ist als Instrument der Zukunftsvorsorge seit Jahrzehnten etabliert, effizient und nützlich. In dieser Serie über ökonomische Zukunftsforschung nehmen wir aktuelle Entwicklungen ins Visier, unter anderem Bewertung und Einordnung der sogenannten „Moonshot-Methode“, „New Leadership“ in modernen Unternehmen, Digitalisierung auf humane Art und was mit künstlicher Intelligenz auf dem Spiel steht.
New Work – Hype zwischen Utopie und Pervertierung
„New Work“ ist eines der vielen „Buzzwords“ der ökonomischen Zukunftsdebatte. Es soll eine künftige Arbeitswelt beleuchten, die durch flache Hierarchien, Digitalisierung, dichte Kommunikationsnetzwerke und neuartige Führungsmuster, durch hohe Geschwindigkeiten sowie humane „Workspaces“ gekennzeichnet sein wird. Vor allem aber soll es den Mitarbeitenden darin gut gehen – die ganze Person steht im Mittelpunkt, die Menschen sollen in ihren Bedürfnissen, Wünschen und Gefühlszuständen ernstgenommen werden.
Mit diesem utopie-gesättigten Begriff geht ein Wechsel des Leitbildes für unternehmerisch erbrachte Arbeit einher, der selten aufgedeckt wird. Denn die vorgebliche „Achtsamkeit“ für menschliche Bedürfnisse vollzieht sich just zu einer Zeit, in der Unternehmen eine tiefgreifende Veränderung der Arbeitswelt in einer globalen, hochtechnologisierten und vernetzten Ökonomie bewältigen müssen. Zu diesem Zweck profiliert New Work ein neuartiges Verständnis von Leben und Arbeiten, also auch Konsequenzen für Politik, Gesellschaft und soziale Steuerung.
Der Begriff war ursprünglich die konzeptionelle Idee für eine soziale Bewegung, die 1984 unter dem Label „New Work – New Culture“ von dem Sozialphilosophen Frithjof Bergmann in Flint, Michigan, ins Leben gerufen wurde. Der gebürtige Sachse Bergmann war Professor für Philosophie und Anthropologie an der University of Michigan.
Ein zentraler Gedanke von ihm ist die „Armut der Begierde“, eine Idee, die er in Anschluss an Hegel entwickelte: Die Menschen hätten in der kapitalistischen Wirtschaft ihre Fähigkeit verloren zu wissen, „was sie wirklich-wirklich wollen“. – Bergmanns Mantra des New Work-Konzepts, das die traditionelle kapitalistische Maxime beständigen Wachsens à la citius, altius, fortius (schneller, höher, stärker bzw. weiter) ersetzen soll, durch die Maxime eines sinnerfüllten und selbstbestimmten Lebens, bei dem die Menschen dort, wo sie leben, die Arbeit tun, die sie wirklich tun möchten (und das, was sie möchten, auch wissen).
So weit, so erbaulich. Neben der moralischen Schlagseite dieses Konzepts hält es aber noch ein anderes Element parat, das Unternehmen aktuell willkommen ist: Das Ursprungskonzept von Bergmann lässt sich mühelos betriebswirtschaftlich einbinden, durch modernes Wissen anreichern und zeitgemäß ‚verkaufen’ – der Fokus auf menschengemäßere Arbeitsbedingungen als kleinster gemeinsamer Nenner dient dabei als moralische Trophäe, mit Hilfe derer beispielsweise digitale Kontrolle qua individualisierter „Dashboards“ als Autonomiegewinn umgedeutet werden kann (vgl. den Beitrag zu zukunftsforscherisch aufgestellten Unternehmen). Auf der betriebswirtschaftlichen Ebene geht es weniger um humaneres Arbeiten als um die Umstellung von Führung auf ein digitalisierungsaffines Steuerungsmodell. Dieser – eigentlich technologieinduzierte – Wechsel, der immense soziale und kommunikationspolitische Effekte nach sich zieht, lässt sich dank New Work also moralisch überblenden. In Europa vollzieht sich dieser soziokulturelle Wandel bislang nahezu komplett unterhalb des öffentlichen Radars; auch innerhalb der klassischen Sozialwissenschaften ist eine Bearbeitung bislang zwar erkennbar, aber Sache universitärer Elfenbeintürme.
Was leistet dieser „Shift“? Einen neuen sozialen Legitimationsschub für die Wirtschaft. New Work ist im Rahmen des zeitgenössischen Zukunftsdiskurses innerhalb der Ökonomie das Einfallstor für eine Kombination von kybernetischen Steuerungsidealen (die zu Europa aus mehreren Gründen nicht passen und innerhalb der Gesellschaften offenen Widerstand provozieren), und – vor allem – einer dominanten moralischen Ornamentik, die durch schwammige Floskeln über menschlichere Arbeit und humanes Wirtschaften die betriebswirtschaftlich-unternehmerischen Interessen auf die Hinterbühne verweisen und abdunkeln. Wirtschaft gerät damit quasi „in tune“ mit Gesellschaft: In informationstechnologischem Sprachduktus könnte man sagen, Wirtschaft und Gesellschaft werden kompatibel gemacht (was Unternehmen und Wirtschaftsidealisten gleichermaßen freut). Diese Diskursstrategie funktioniert derzeit hervorragend – nahezu die gesamte unternehmensnahe Weiterbildungsszene ist ein Beleg dafür.
Dieses Manöver verläuft nach einem komplexen Muster. Interessenten können es nachlesen – im Fachbuch über die „Arbeitswelten der Zukunft, herausgegeben von FOM Rektor Burkhard Hermeier, dem Prorektor Forschung Prof. Dr. Thomas Heupel und der Prorektorin Lehre Prof. Dr. Sabine Fichtner-Rosada. Darin wird die „New Work-Challenge“ detailliert beschrieben, kritisch bewertet und – vor allem – Handlungsoptionen vorgestellt.
Der nächste Beitrag über Künstliche Intelligenz erscheint in der nächsten Woche. Bisher nachlesbar sind die Beiträge über Moonshots als Innovationsmethode, New Leadership in digitalen Firmen sowie Digitalisieren auf humane Art.
Prof. Dr. Friederike Müller-Friemauth | KCT KompetenzCentrum für Technologie- & Innovationsmanagement | Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insb. Strategisches Marketing & Innovationsmanagement am FOM Hochschulzentrum Köln | 26.07.2019
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