Nachhaltiges Unternehmertum: Was ist wichtig?  

Jährlich benennt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Konzepts „Wissenschaftsjahr“ ein Thema, um fächerübergreifend zukunftsorientiert Debatten anzuregen, Fragen zu beantworten und zu diskutieren und den Austausch zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit erlebbar zu machen. 2018 war das Fokusthema „Arbeitswelten der Zukunft“, 2019 die „Künstliche Intelligenz“ – wozu wir jeweils auch einiges hier im Forschungsblog beitragen konnten. Am 1. Januar 2020 hat das Wissenschaftsjahr zum Thema Bioökonomie begonnen. Das nahmen wir zum Anlass, uns mit Prof. Dr. Carsten Kruppe und Dr. Nadine Pratt zu unterhalten, die zu diesem Thema bereits zusammengearbeitet haben.

Pratt (2.v.l.) & Kruppe (re.) im Rahmen ihres Workshops zum Thema Bioökonomie (Foto: Bürgschaftsbank Nordrhein-Westfalen/Lina Uebbing)

Prof. Kruppe ist kooptierter Wissenschaftler des isf Institute for Strategic Finance der FOM Hochschule, er forscht und lehrt Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insb. Finance am FOM Hochschulzentrum Berlin.

Dr. Pratt ist als Dozentin am FOM Hochschulzentrum Essen und lehrt u. a. in den Modulen International Business Management und Nachhaltigkeit, Wirtschaftsethik, Behavioural Economics und Intercultural Competencies. Zudem arbeitet sie seit 2014 als selbstständige Beraterin und Coach im Bereich nachhaltige Unternehmensführung, agile Managementmethoden und Entrepreneurship im internationalen Kontext. Davor war sie seit dem Start des „UNEP/Wuppertal Institute Collaborating Centre on Sustainable Consumption and Production“ (CSCP) im Jahr 2005 bis 2013 dort tätig. Es handelt sich dabei um ein vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie gegründetes Institut. Sie zeichnete dort als Teamleiterin „Sustainable Business and Entrepreneurship“ für das Management von Projekten aus den Bereichen nachhaltige Produktion und nachhaltiger Konsum – Klimawandel, erneuerbare Energien, CO2-Footprints, Ressourceneffizienz, nachhaltige Lebensstile, CSR – verantwortlich.

Sie haben einen Workshop zum Thema „nachhaltiges Unternehmertum“ gestaltet – in Zusammenarbeit mit dem Impact Hub Ruhr. Wie ist es dazu gekommen?

Nadine Pratt:An der FOM in Hamburg gibt es bereits seit längerem die Initiative „FOMpreneurs“ – einen Ein-Tages-Workshop für Studierende der FOM und anderer Hochschulen, die unternehmerisch tätig werden wollen oder sich auch nur für das Thema Entrepreneurship interessieren. Die Idee war nun, dies auch in Essen anzubieten, allerdings mit dem Schwerpunkt auf ökologischer und/oder sozialer Nachhaltigkeit. Denn neue, nachhaltige Business-Modelle sind zentral, um die Herausforderungen des Klimawandels wie auch anderer Nachhaltigkeitsherausforderungen meistern zu können. Hierzu haben wir nach einem kompetenten Partner gesucht, den wir im Impact Hub Ruhr – einem Netzwerk nachhaltiger Unternehmerinnen und Unternehmer – gefunden haben. Darüber hinaus konnten wir den Workshop in die startupweek:RUHR 2019 einbetten und so viele Interessentinnen und Interessenten ansprechen. Aufgrund der Resonanz und des Feedbacks der Beteiligten ist geplant, den Workshop auch 2020 im Rahmen der startupweek anzubieten.

Ihr Part beim Workshop war der „Finanzierungsteil“, bei dem Sie eine Alternative aufgezeigt haben, um die eigene Geschäftsidee umzusetzen und an Geld dafür zu kommen. Können Sie bitte diese Alternative kurz skizzieren?

Carsten Kruppe: Unternehmertum oder Entrepreneurship wird ja meist als Gründung eines neuen Unternehmens verstanden. Dieses sogenannte Start-up wird dann komplett neu aufgebaut. Betrachtet man die Situation kleiner und mittelständischer Unternehmen, kurz KMU, wie wir das bei der Erarbeitung unseres Nachfolgemonitors* getan haben, stellt man fest, dass ein Neuaufbau vielleicht gar nicht nötig ist. Denn aktuell gibt es viele KMU-Inhaberinnen und -Inhaber, die händeringend eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger suchen. Die Alternative „Firmenübernahme“ statt Neugründung birgt Vorteile, wie etwa die Übernahme des vorhandenen Kundenstamms und erfahrener Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, eingespielte Prozesse sowie das Know-how der oder des Übergebenden, der im Optimalfall noch nach der Übergabe unterstützend zur Verfügung steht. Das Unternehmen selbst profitiert von den innovativen und frischen Ideen der Jungunternehmerin bzw. -unternehmers. Diese Vorteile zusammen dürften für anstehende Finanzierungsverhandlungen mit Banken von großem Wert sein. Ein Gedanke, den wir im Workshop direkt mit der Bürgschaftsbank NRW diskutieren konnten. Und diese Vorteile offenbaren sehr schön die Erneuerungsfähigkeit und Dauerhaftigkeit unternehmerischen Handelns als Kernelemente ökonomischer Nachhaltigkeit.

Für 2020 hat das BMBF das Thema Bioökonomie als Fokusthema für das Wissenschaftsjahr ausgerufen. Wie kann man aus Ihrer Sicht nachhaltiges ökologisches mit ökonomischem Handeln in Einklang bringen?

Nadine Pratt:Es ist wichtig zu betonen, dass nachhaltiges Handeln nicht automatisch im Zielkonflikt zu ökonomischem Handeln steht. Trade-offs, also gegenläufige Abhängigkeiten treten oftmals dann auf, wenn bei bestehenden Business-Modellen, die rein ökonomisch aufgesetzt wurden, Nachhaltigkeitsaspekte „übergestülpt“ werden, ohne diese strategisch im Kern des Geschäftes zu verankern und auch einen Wandel im Mindset der Unternehmensbeteiligten durchzuführen.

Nachhaltige Start-ups haben hier den Vorteil, dass sie von Anfang an bei der Konzipierung des Geschäftsmodells Nachhaltigkeit mitdenken können. Bei nachhaltigen Business-Modellen, werden Zielkonflikte mit ökonomischen Aspekten dadurch reduziert, dass die drei Bereiche „ökologisch“, „sozial“ und „ökonomisch“ eben nicht gleichranging nebeneinanderstehen, sondern die sozialen und ökologischen Grenzen die Rahmenbedingungen für das ökonomische Handeln darstellen. Darüber hinaus streben nachhaltige Business-Modelle an, einen Wertzuwachs im Bereich der Ökologie oder im sozialen Bereich durch ökonomisches Handeln zu erzielen. Das ökonomische Handeln, und damit auchdie Profitorientierung wird in diesen neuen Modellen zum Mittel und nicht zum finalen Zweck.

Geschäftsmodelle im Rahmen der Bioökonomie sind daher nicht per se nachhaltig. Auch hier ist zentral, dass das wirtschaftliche Handeln eingebettet wird in die öko-sozialen Grenzen unseres Systems und eruiert wird, inwieweit Bioökonomie zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen kann. Hierzu zählen dann im Sinne der Sustainable Development Goals**, den SDGs 2030, eben nicht nur Wirtschaftswachstum, sondern ebenso Ziele wie die der Biodiversität, der Ernährung undder Bildung. Gelingt es, bioökonomische Geschäftsmodelle derart zu konzipieren, dass sie die öko-sozialen Grenzen berücksichtigen und im Sinne einer nachhaltigeren Entwicklung ausgerichtet werden, birgt die Bioökonomie die Chance für einen Paradigmenwechsel zu einer nachhaltigeren Wirtschaft, in der die öko-sozialen Rahmenbedingungen für erfolgreiches, ökonomisches Handeln langfristig gesichert werden.

Carsten Kruppe:Hierzu ergänzend möchte ich auf die sozialen Aspekte als dritte Säule der Nachhaltigkeit noch näher eingehen. Nur die Balance zwischen allen drei Dimensionen schafft die Basis für eine nachhaltige Entwicklung. Hierzu gibt es derzeit schon einige Ansätze und Überlegungen. Der Value Balancing Alliance e. V. hat sich beispielsweise zum Ziel gesetzt, ein standardisiertes Modell zu entwickeln, mit dem ökologische, humane, soziale und ökonomische Werte gemessen und berichtet werden können. Und es gibt bereits Unternehmen, die über interne Verrechnungssätze ökologisch wertvolles Verhalten bevorteilen und damit steuern. Und Unternehmen, die ihren Mitarbeitenden Freiräume geben, um sich gesellschaftlich zu engagieren. Beides sind übrigens Ideen, die im Wettbewerb um Talente ausschlaggebend sein können. Insgesamt geht es also darum, Unternehmen nicht ausschließlich nach finanziellen Erfolgen zu steuern, sondern das Unternehmen als Teil der Gesellschaft zu verstehen und damit auf partnerschaftlicher Basis ebenso ökologische und soziale Aspekte in das unternehmerische Handeln zu integrieren.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

 

Das Interview führte Yasmin Lindner-Dehghan Manchadi M.A. | Referentin Forschungskommunikation | 20.01.2020 

 

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