„Die Bekämpfung des Klimawandels kann nur kooperativ gelingen“  

Prof. Dr. Estelle Herlyn (Foto: Tom Schulte)

10.11.2017 – Das Pariser Klimaabkommen mit wesentlichen Vereinbarungen und Regeln zur konkreten Umsetzung voranbringen – so lautet die Zielsetzung der 23. Weltklimakonferenz, die aktuell in Bonn stattfindet. Was hierzu zu tun ist, dazu bezieht Prof. Dr. Estelle Herlyn im Scienceblog Stellung. Die Wissenschaftlerin ist eine der Leiterinnen des KCN KompetenzCentrum für nachhaltige Entwicklung an der FOM Hochschule.

In Bonn treffen sich in diesen Tagen Vertreterinnen und Vertreter von knapp 200 Staaten, um gemeinsam den Klimawandel zu bekämpfen. Was ist das Besondere an dieser Konferenz? 

Prof. Dr. Herlyn: Das Hauptanliegen der Konferenz ist es, das in Paris beschlossene 2°C-Ziel – also die Beschränkung der Erderwärmung auf weniger als 2°C gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter – durch konkrete Maßnahmen erreichbar zu machen. Auffällig ist die Breite der involvierten Akteure. Neben Umweltministerin Barbara Hendricks ist auch Entwicklungsminister Dr. Gerd Müller für die Gestaltung der Konferenz von deutscher Seite verantwortlich. Neben der Politik sind zahlreiche weitere Akteure dabei, unter anderem Unternehmen. 

Was bedeutet das?

Prof. Dr. Herlyn: Die Bekämpfung des Klimawandels kann nur kooperativ gelingen. Politik, Unternehmen und weitere Akteure sind gefragt. Außerdem kann der Klimawandel als globale Herausforderung auch nur durch kluge globale Kooperation und globale Maßnahmen bekämpft werden. Alleine in Deutschland lässt sich das Weltklima nicht retten. Wir sind für nur zwei Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich. 

Sind wir auf einem guten Weg? 

Prof. Dr. Herlyn: Aktuell stellt sich leider heraus, dass sich nicht nur Deutschland schwer tut, seine CO2-Reduktionsziele zu erreichen. In einer Gesamtbetrachtung stellt man zudem fest, dass die bisher vereinbarten politischen Maßnahmen selbst bei erfolgreicher Umsetzung bei weitem nicht ausreichen würden, um das 2°C-Ziel zu erreichen. Wir steuern eher in Richtung 3 bis 4°C Erwärmung. 

Wie könnten vor diesem Hintergrund Maßnahmen der Unternehmen aussehen? 

Prof. Dr. Herlyn: Ein hoffnungsvoller Ansatz, die Verantwortung für die Bekämpfung des Klimawandels auf viele Schultern zu verteilen, liegt in der sogenannten freiwilligen Klimaneutralität von Organisationen aller Art, z.B. Unternehmen und auch Privatpersonen. Das heißt: Sie neutralisieren bzw. kompensieren nach dem Verursacherprinzip die CO2-Emissionen, die trotz aller Reduktions- und Vermeidungsmaßnahmen noch in ihrer CO2-Bilanz stehen. Man spricht auch von Offsetting.

Hierzu können unterschiedliche Maßnahmen ergriffen werden. Eine besteht in der Erzeugung sog. Negativemissionen. CO2, das bereits emittiert wurde, wird wieder aus der Atmosphäre herausgeholt. Besonders wirkungsvoll ist in diesem Kontext die Humusbildung bei der Restaurierung degradierter Böden. Die Flächen sind wieder landwirtschaftlich nutzbar. Humus bindet sehr viel CO2, erhöht die Bodenfruchtbarkeit, verbessert den Wasserhaushalt und das Ernteergebnis etc.

Ein anderer, unter vielen Aspekten positiv zu beurteilender Ansatz ist die Wiederaufforstung degradierter Flächen. Neben der Bindung von CO2 durch die gepflanzten Bäume können vielfältige positive Effekte vor Ort erzielt und Entwicklung gefördert werden. Im ökologischen Bereich wird durch die Renaturierung von Flächen die Biodiversität positiv befördert, der Wasserhaushalt verbessert sich. Im sozialen Bereich kommt es zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen und der Ernährungssituation. Nicht zuletzt ergeben sich positive ökonomische Effekte: die Forstwirtschaft generiert Arbeitsplätze und Einkommen, es entsteht Infrastruktur, und schließlich ist Holz ein wichtiger erneuerbarer Rohstoff, erneuerbare Energiequelle und Biomasse zugleich. Auf diese vielfältige Weise wirken Aufforstungsmaßnahmen positiv in Richtung von 12 der 17 Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030. Man spricht auch von co-benefits. Vor diesem Hintergrund hat sich auch Entwicklungsminister Dr. Gerd Müller zu Beginn der Konferenz für freiwillige private Klimaneutralität ausgesprochen und angekündigt, dass sich sein Ministerium bis 2020 klimaneutral stellen wird.

Gibt es weitere Möglichkeiten zur Kompensation? 

Prof. Dr. Herlyn: Eine weitere Maßnahme besteht in der Finanzierung erneuerbarer Energiesysteme in sich entwickelnden Staaten, wodurch dort der Umfang der Nutzung fossiler Energieträger reduziert wird. Dieser Ansatz fördert den dringend benötigten Technologietransfer.

Schließlich besteht ein dritter Weg in der Stilllegung von CO2-Zertifikaten aus dem europäischen Emissionshandelssystem. Man erwirbt CO2-Zertifikate und damit die Erlaubnis CO2 zu emittieren, nutzt diese aber nicht. Auf diese Weise wird die zulässige Menge an CO2-Emissionen innerhalb des Handelssystems reduziert.

Für alle beschriebenen Maßnahmen gilt: Pro eingesetztem Euro ist die induzierte Klimawirkung in den allermeisten Fällen viel größer, als wenn probiert würde, weitergehende CO2-Einsparungen in Deutschland zu erzielen. Das liegt daran, dass wir an vielen Stellen bereits sehr klimaeffizient sind. Nochmalige Verbesserungen werden dann immer teurer. 

Gibt es bereits Unternehmen, die diesen Weg einschlagen? 

Prof. Dr. Herlyn: In der Praxis findet sich bereits eine Vielzahl von Unternehmen, die klimaneutral sind oder es innerhalb eines überschaubaren Zeitraums werden wollen. Exemplarisch genannt seien SAP, Aldi Süd, die Allianz, die Deutsche Bank oder auch das mittelständische Unternehmen Zwick Roell. In jüngster Zeit hat die AVIA Mineralöl AG die von ihr pro Jahr angebotenen 360 Mio. Liter Heizöl klimaneutral gestellt. Diese verursachen 1 Mio. Tonnen CO2. Weitere Unternehmen bieten einzelne Produkte oder Dienstleistungen klimaneutral an, so z. B. das Unternehmen DPD den klimaneutralen Versand aller Pakete. Ich würde mir wünschen, dass die Zahl der klimaneutralen Unternehmen in der kommenden Zeit spürbar ansteigt.

Wie könnten Privatpersonen ihre Klimaneutralität angehen? 

Prof. Dr. Herlyn: Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe Dienstleister, über die man seine CO2-Emissionen kompensieren kann, z.B. die Klima-Kollekte oder atmosfair. 

Sind Sie klimaneutral? 

Prof. Dr. Herlyn: Ja, ich habe meine CO2-Emissionen der Jahre 2015 und 2016 kompensiert. Für 2017 werde ich dasselbe tun.