#BWLBashing – Unser Fach in der Krise?  

(Foto: darkbird/Fotolia)
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22.11.2016 – Seit Jahren tobt eine Debatte über den Zustand des Studienfaches BWL. Einer der Startpunkte war der (lesenswerte) Aufschrei über die Unzeitgemäßheit der Sozialwissenschaften vom Yale-Physiker Nicholas Christakis. Seitdem gab’s diverse Kommentar-Reihen in den Medien und viel Schattenboxen von akademischer Seite. Aktuell kursiert der Kalauer von der „Betriebswirtschaftsleere“. Was ist dran am Dauer-Lamento über das angebliche Sammelbecken geld- und sicherheitsfixierter Karrieristen, über unfähige Prognostik, veraltete Inhalte und Pauk-Drill? Prof. Dr. Friederike Müller-Friemauth vom KCT KompetenzCentrum für Technologie- & Innovationsmanagement der FOM Hochschule beobachtet die Debatte in drei Beiträgen aus zukunftsforscherischer und milieugeschulter Perspektive.

Teil 3: Let’s shake up the economic sciences!

Sind die Wirtschaftswissenschaften noch zeitgemäß? Ein Indikator, an dem die Antwort üblicherweise festgemacht wird, ist das modische Wording neuer Fachdisziplinen. Gibt es beispielsweise in den Naturwissenschaften heute Stammzell-Biologie, Neuro- und synthetische Biologie oder molekulare Biophysik, so doktere angeblich die BWL an ihrem angestammten Kanon unbeirrt weiter herum. Bei uns stehen auch heute noch Bilanzierung und Rechnungslegung, Marketing, Vertrieb, Controlling oder Personalwesen auf dem Programm. Ist das alles veraltet – nur aufgrund einer vermeintlich überkommenen Bezeichnung?

Die kreative Aufwertung hipper Schlagwörter zum Qualitätskriterium von Wissenschaft zu erklären, ist zwar zeitgemäß, aber methodisch nicht legitim – nur hat sich das noch nicht überall herumgesprochen. Denn während sich auf der einen Seite schon lange viele über die Schwemme pseudo-moderner Unsinns-Titel aufregen (vom Chef-Daddler als „Head of Global Gaming“ bis zum berühmt-berüchtigten Vordenker als „Chief Evangelist“), behaupten die anderen immer noch stoisch-dreist, wer da nicht mitspiele, sei auch inhaltlich von gestern. Ein bemerkenswerter Effekt der mediatisierten „Aufmerksamkeitsökonomie“, der ahnen lässt, wie absurd Wissenschaftsdiskurse inzwischen sein (und noch werden) können.

Im Gegensatz etwa zu Soziologie oder Politologie gibt es im Kontext der BWL heute Verhaltensökonomik (ein Hybrid aus Ökonomie und Psychologie), Neuro-Marketing und -Pricing (Ökonomie und Neurowissenschaften) oder auch Big-Data-Expertise (Wirtschaftsinformatik). Allerdings maßen wir uns nicht an, nur, weil es derzeit viele aktuelle und drängende Fragestellungen in diesen fortschrittlichen Nischen gibt, gleich die alten disziplinären Fundamente über Bord zu werfen. (Die Naturwissenschaftler haben ja auch nicht das Fach Biologie abgeschafft.) Es ist zweifellos richtig, dass die Sozialwissenschaften mehr interdisziplinären Schwung brauchen, aber die BWL steht dabei gewiss nicht als letzte in der Reihe der Modernisierungsbedürftigen.

Ohnehin rumort es in der Studierendenschaft, hauptsächlich im VWL-Bereich, seit Jahren. Verschärft seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2008/09 verlangen studentische Basisgruppen mehr Pluralität im Denken und plädieren für den Einbezug von Dogmengeschichte, Wirtschaftsgeschichte und Wissenschaftstheorie; von alternativen Denkschulen und auch mal ohne Mathematik auskommenden Theorien, die statt nur rechnerisch auch qualitativ-evaluierend vorgehen. Die Reaktionen auf solche Forderungen nach einer zeitgemäßen Ausweitung des wissenschaftlichen Horizonts indes sind alt-bekannt und erwartbar, denn sie verlaufen geradezu idealtypisch entlang der eingeschliffenen Mentalitätsgrenzen:

Die vermeintlichTrendigen feiern voreilig einen Reset („mehr Philosophie, Shakespeare lesen und Praxisorientierung!“), der bislang freilich nur vereinzelt in privaten Bildungsanstalten zu beobachten ist – mit einigem Recht. Denn schaut man sich den dominanten Modernisierungspfad internationaler (auch mittelständischer!) Unternehmen an, ist leicht erkennbar, dass die Richtung hingeht zu Künstlicher Intelligenz, Bewerberauswahl qua Operating Systems beziehungsweise Sprachanalyse sowie Kompetenzmessungen auf Basis von Tracking und kognitiven Profilen. Ob einem Shakespeare da weiterhilft?

Und die angeblichTrendverschlafenen machen, so zumindest die öffentlichkeitswirksame Inszenierung dieser Story-Line, weiter zahlenverliebtes business as usual. Erkennbar wird: Woran es tatsächlich mangelt, sind einschlägige, transparente Kriterien, an denen sich bemessen ließe, was überhaupt valide Modernisierungsaspekte und -richtungen für die BWL wären, und was bloße Interessenpolitik. Beispiele:

  • Die Nachfrage nach Prognosen, gerade in komplexen und ungewissen Umfeldern, nimmt weiter zu. Ist die BWL in der Lage, Wandel aus unterschiedlichen Perspektiven zu analysieren – und Komplexitätskompetenz nachzuweisen? Eher nicht, daher bedienen diese Nachfrage seit Jahrzehnten Unternehmer, keine Wissenschaftler. Die BWL ist schon lange raus aus diesem Spiel.
  • Das normative Orientierungsvakuum in einer globalen Ökonomie wächst, siehe die aktuelle Debatte über eine Vision für Europa. Ist die BWL in der Lage, Modelle und Konzepte zu liefern, um bevorzugte Zukünfte, auszuzeichnende Alternativen und begründet zu prämierende Handlungsempfehlungen zu entwickeln? Eher nicht. Wir objektivieren, berechnen methodisch präzise und halten uns ansonsten vornehm zurück. Dieser Habitus ist einer ‚disruptiv’ gewordenen Welt längst nicht mehr angemessen.
  • Echte Weitblick-Akademiker sitzen im kalifornischen Stanford oder Berkeley – aber genauso in Israel, Korea, Finnland und Singapur. Ganz zu schweigen von traditionsreichen Corporate Foresight-Abteilungen der Global Player. Die BWL war in diesem Fachdiskurs noch nie präsent, und man hat mitunter den Eindruck, sie möchte es auch gar nicht sein.

Sind die Wirtschaftswissenschaften also noch zeitgemäß? Inhaltlich hat sich in den vergangenen Jahren eine Menge getan, das Fach ist innerhalb der Sozialwissenschaften vergleichsweise gut aufgestellt. Und dass sich durch die Digitalisierung die Lehrformen grundlegend ändern müssen, betrifft alle gleichermaßen.

Wie sich an den Beispielen ablesen lässt, liegt der Handlungsbedarf nicht bei den Issues, und auch nicht in weltfremder Romantisiererei – denn die Philosophie-Lektüre allein, genauso wie ein großes Herz für den Mittelstand, hilft in dem neuartigen Rat-Race globaler Professionals, das künftig von unbestechlich objektiven Maschinen mitorganisiert wird, nicht weiter. Sondern in einer überfälligen Erweiterung ihres Weltbildes, das der BWL von ihren Gründern und Heroen eingeimpft wurde: ein Weltbild des 19. Jahrhunderts. „Entrepreneurship“ beispielsweise ist mitnichten nur Gründer-Expertise, wie unsere Disziplin das gern verzwergt. Dabei geht es vielmehr um Unternehmerwillen, Innovationskraft und Ideen; einen auch gesellschaftlichen Gestaltungsanspruch, die Entwicklung eines Sensoriums für neue Bedürfnisse – auch in Sachen Führung, Arbeit und gutem Leben. Die Menschen sind es leid, sich in Sachen „Zukunftskompetenz“ die leeren Floskeln der Eliten anzuhören. Dass die BWL beispielsweise bis heute etwas dazu beigetragen hätte, in unseren westlichen Marktgesellschaften Kriterien darüber anzubieten, wo Geld und Markt hingehören und wo nicht, lässt sich nicht behaupten. Genau das gehört aber zu ihren Kernaufgaben – Adam Smith lässt grüßen.

Es geht um die Wiedergewinnung von Glaubwürdigkeit und Relevanz. Und die bemisst sich nicht nur am richtigen Rechnen, sondern auch daran, eine Wirtschaft für das 21. Jahrhundert aktiv zu gestalten – und das auch zu wollen! Dieser Wille: der Eindruck von betriebswirtschaftlicher Gestaltungskompetenz mit entsprechendem, damit einhergehendem Anspruch, ist derzeit kaum erkennbar. Es ist dieses Defizit, was das aktuelle Lamento befeuert.

Prof. Dr. Friederike Müller-Friemauth, KCT KompetenzCentrum für Technologie- & Innovationsmanagement

Zu diesem Thema bereits erschienen: Die Beiträge BWL als Sammelbecken geldgieriger Karriereristen? und BWL als Pauk-Fach für veraltetes Wissen?.

 

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Das Sachbuch Silicon Valley als unternehmerische Inspiration ist in der FOM-Edition  bei Springer Gabler erschienen.