Stärkung gesundheitlicher Teilhabe durch kultursensible Versorgungsangebote – auf dem Weg zur interkulturellen Öffnung im Gesundheitswesen  

Migration und das Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen betrifft die gesamte Gesellschaft. Besonders deutlich werden interkulturelle Unterschiede bei der medizinischen und pflegerischen Arbeit. Ein Forschungsteam der Charité Universitätsmedizin Berlin und der FOM Hochschule hat untersucht, ob und inwiefern zunehmende kulturelle Vielfalt die Arbeitsbedingungen einerseits und die Gesundheitsversorgung andererseits beeinflusst. Zunächst haben die Forschenden herausgearbeitet, inwiefern Migration das Gesundheitspersonal sowie die Patientinnen und Patienten betrifft. „Unser Interesse galt mitarbeiter- und organisationsbezogenen Faktoren, die dazu beitragen, interkulturell herausfordernde Situationen erfolgreich zu meistern. Unsere Überzeugung ist, dass kulturkompetentes Handeln zentrale Voraussetzung für eine bedarfsgerechte Versorgung von Migranten bzw. Post-Migranten ist“, erklärt Prof. Dr. phil. Liane Schenk, die im Forschungsprojekt „Teilhabe durch soziokulturelle Öffnung? (Post-) migrantische Fachkräfte und Patient/innen im institutionellen Wandel am Beispiel von Medizin und Pflege (ToP)“ die Gesamtleitung innehatte hat und den Bereich Versorgungsforschung am Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft der Charité verantwortet.

Ein interkultureller Maßnahmenkoffer – hier einige Inhalte daraus – soll nun in Form eines Ordners auf den Stationen der Krankenhäuser langfristig implementiert werden. Eine digitale Version ist ebenfalls in Arbeit. Dies ist nur eines der Ergebnisse aus dem Projekt ToP. Weitere Auswertungen der umfangreichen Datenmengen sind ebenso wie weitere Veröffentlichungen geplant. Eine erste Veröffentlichung gibt es bereits. | © Zohra Khan

Neben dieser erstmals differenzierten Untersuchung für die Bereiche Medizin und Pflege haben sie für eine weitere Vergleichsebene Daten aus Versorgungseinheiten in Nordrhein-Westfalen und Berlin erhoben. „Seitens der Politik wird die dringende Notwendigkeit für kultursensible Angebote im Gesundheitswesen wahrgenommen, jedoch wird bislang noch nichts Entsprechendes angeboten. In unserem Forschungsverbund konnten wir nun Vorlagen schaffen, an denen sich Mitarbeitende für ihre Arbeit mit kulturell verschiedenen Gruppen und Personen orientieren können“, so Prof. Dr. David Matusiewicz, der das Teilprojekt am Institut für Gesundheit & Soziales (ifgs) der FOM geleitet hat und als Dekan an der FOM auch den Hochschulbereich Gesundheit & Soziales verantwortet.

Die Studie wurde in insgesamt acht Versorgungseinrichtungen – vier Krankenhäusern und vier ambulanten Pflegediensten – in den beiden genannten Bundesländern durchgeführt. Zur Anwendung kamen verschiedene Erhebungsmethoden: Mittels Teilnehmender Beobachtung wurde beispielsweise der Arbeitsalltag in den Einrichtungen analysiert. Darüber hinaus wurden Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte mittels Online-Fragebögen und Gruppendiskussionen, Mitarbeitende der Leitungsebene im Rahmen von Expertinnen-Experten-Interviews, Patientinnen und Patienten mit und ohne Migrationshintergrund im Rahmen von papiergestützten Fragebögen befragt.

Parallel zu diesen Untersuchungen wurden in einem partizipativen Prozess kultursensible Interventionen in Form eines „Maßnahmenkoffers“ (Foto) entwickelt und evaluiert. Es wurde untersucht, wie es sich beispielsweise auf Rettungseinsätze auswirkt, wenn das Personal über die beinhalteten Informationen verfügt. Der Einsatz des Maßnahmenkoffers wurde auf sechs Stationen in zwei Krankenhäusern getestet. Neben einer Zusammenstellung von Anamnesebögen in verschiedenen Sprachen, Fragebögen, medizinischen Sprachtafeln und Piktogrammen, die in herausfordernden Kommunikationssituationen genutzt werden können, enthält er Broschüren zu vielfaltsbezogenen Aspekten, Kulturspezifika und beispielweise ganz praktische Anleitungen dazu, wie man in Berlin einen arabischsprechenden Arzt findet.

„Der Maßnahmenkoffer wurde den Krankenhausmitarbeitenden inzwischen vorgestellt und soll nun in Form eines Ordners auf den Stationen der Krankenhäuser langfristig implementiert werden. Eine digitale Version ist ebenfalls in Arbeit“, so Frau Prof. Dr. Meryam Schouler-Ocak, leitende Oberärztin der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig-Krankenhaus.

Eine erste aus dem Projekt heraus bereits generierte Publikation befasst sich mit interkultureller Öffnung im Gesundheitswesen, die einen solidarischen Umgang fördert. Weitere Auswertungen der umfangreichen Datenmengen sind ebenso wie weitere Veröffentlichungen geplant.

Die Projektleitung lag am Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft der Charité Universitätsmedizin Berlin mit Verbundleitung Prof. Dr. phil. Liane Schenk, Dr. phil. Lisa Peppler, Dr. Kaspar Molzberger, Dipl.-Soz. Pia-Theresa Sonntag, Dr. Anna Schneider, Açelya Akdemir B.Sc., Dominic Bonfert B.Sc. und Güldeniz Şensoy B.Sc. Darüber hinaus beteiligt war die Psychiatrische Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig-Krankenhaus mit Prof. Dr. med. Meryam Schouler-Ocak, Dr. Zohra Khan und Sonja Radde sowie das ifgs der FOM mit Prof. Dr. David Matusiewicz, Patricia Beck M.A., Laura Elsenheimer M.Sc.

Das Projekt „Teilhabe durch soziokulturelle Öffnung? (Post-) migrantische Fachkräfte und Patienten im institutionellen Wandel am Beispiel von Medizin und Pflege“ (FKZ 01UM1810BY) lief vom01.02.2018 bis 31.05.2021. Es wurde im Rahmen des Programms „Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften“, Richtlinie zur Förderung der Maßnahme „Migration und gesellschaftlicher Wandel“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

Yasmin Lindner-Dehghan Manchadi M.A. | Referentin Forschungskommunikation der FOM Hochschule | 06.07.2021