Agile Personalführung: Chancen, Herausforderungen & Barrieren – ein Interview  

Organisationen müssen agil werden, so wird es immer häufiger gefordert. Dies erfordert vor allem auch ein Umdenken in den Führungsetagen. Wie das geschehen kann, damit hat sich Prof. Dr. Gernot Schiefer, Leiter des KCQF KompetenzCentrum für Qualitative Forschung, gemeinsam mit FOM Absolventin Hanna Nitsche M.Sc. befasst. Sie hat 2018 an der FOM ihren Master-Abschluss in Wirtschaftspsychologie absolviert und ist aktuell als Business-Success-Managerin im Vertrieb tätig.

Können Sie uns ein paar Worte dazu sagen, wie sich ein agiles Mindset auf die Führungsrolle auswirkt?

Gernot Schiefer: Der entscheidende Punkt ist zunächst, dass Führungskräfte offen sind für ein solches Mindset und sich mit den damit verbundenen Veränderungen in der Mitarbeitenden-Vorgesetzten-Beziehung auseinandersetzen möchten und können.

Prof. Gernot Schiefer, Leiter des KCQF KompetenzCentrum für Qualitative Forschung, und FOM Absolventin Hanna Nitsche mit ihrem gemeinsam verfassten Buch. Das Foto ist bereits Ende 2019 entstanden. | Foto: FOM

Wesentliche Auswirkungen liegen im Machtverhältnis zwischen der Führungskraft und den Mitarbeitenden, das deutlich reduziert wird, sowie der Arbeits- und Denkweise aller Team-Mitglieder – auf allen Hierarchiestufen. Unabhängig von einer Weisungsbefugnis verstehen sich alle Team-Mitglieder auf Augenhöhe, arbeiten selbstbestimmt, flexibel und übernehmen Verantwortung für ihr eigenes Tun und den gesamten Prozess. Die Führungskraft gibt weiterhin Richtungen vor, macht Rahmenbedingungen deutlich, aber vor allem unterstützt sie, damit alle Mitarbeitenden ihre bestmögliche Leistung erbringen können. Je nach Ausgangssituation muss die Führungskraft ihre Mitarbeitenden im Rahmen dieser Entwicklung anfangs mehr oder weniger an die Hand nehmen. Strikte Anweisungen und ständige Kontrolle durch den Vorgesetzten sind jedoch in den meisten Kontexten nicht mehr zeitgemäß, was aber auf keinen Fall mit Führungslosigkeit verwechselt werden darf. 

Gibt es Barrieren in der agilen Personalführung und wenn ja, welche sind das?

Hanna Nitsche: Neben der inneren Einstellung von Führungskräften – dem agilen Mindset – sind die Unternehmenskultur, in der die Führung stattfindet, und die internen Organisationsprozesse essenziell. Sind Führungskräfte beispielsweise gewillt, etwas zu verändern, werden aber durch HR oder die darüber liegende Hierarchieebene ausgebremst, ist dies durchaus eine Barriere gegen die Implementierung von agiler Personalführung. Da in vielen Unternehmen noch relativ starre Strukturen und festgelegte Abläufe herrschen, ist der Weg zu agiler Personalführung mit einem tiefgreifenden Entwicklungsprozess der gesamten Organisation verbunden. Veränderungen in diesem Umfang lösen Beunruhigung in Unternehmen und bei Mitarbeitenden aus. Es ist daher von besonderer Bedeutung, dass das oberste Management die Einführung agiler Führungsstrukturen vollständig und sichtbar unterstützt, dies regelmäßig und eindeutig kommuniziert und damit einen Sicherheit und Orientierung stiftenden Rahmen anbietet.

Welche Bedeutung hat die Vorbild-Funktion von Führungskräften für die Implementierung agiler Führungsstrukturen?

Gernot Schiefer: Hier sind zwei Aspekte besonders zu berücksichtigen. Zum einen geht es um das Verhalten der oder des unmittelbar Vorgesetzten: Diese Führungskraft führt, indem sie agile Denk- und Arbeitsweisen aktiv vorlebt und diese bei ihren Mitarbeitenden fordert und gezielt fördert. Dazu muss sie diese zunächst selbst verinnerlichen – was nur gelingt, wenn sie sich auch mit ihnen identifizieren kann.

Der zweite Aspekt bezieht sich auf alle Führungskräfte im Unternehmen und vor allem im obersten Management: Alle müssen erkennbar hinter dieser „neuen“ Führungsmentalität stehen und dabei dauerhaft eine aktive Rolle einnehmen. Es gibt immer Mitarbeitende, die sich stark gegen Veränderungen sträuben, selbstständiges Arbeiten meiden oder ihr Silo-Denken nicht ablegen wollen – und dadurch diesen Prozess deutlich verzögern. Daher ist es so wichtig, dass die Veränderungen im Unternehmen von der Unternehmensspitze klar getragen und vorgelebt werden. Nur so können alle Akteurinnen und Akteure im Unternehmen – Mitarbeitende und Führungskräfte – abgeholt werden. Wobei auch immer mit Ausnahmen gerechnet werden muss, also solchen, die nicht mitziehen.

Gemeinsam haben sie ein Buch zum Thema verfasst. „Die Rolle der Führungskraft in agilen Organisationen. Wie Führungskräfte und Unternehmen jetzt umdenken sollten“ ist im Springer Verlag erschienen.

Das Interview führte Yasmin Lindner-Dehghan Manchadi M.A. | Referentin Forschungskommunikation | 14.09.2020