Digitalisierung und Gesundheit – überraschende Einblicke zwischen Ingenieurwesen und Medizintechnik  

Fällt der Begriff „Digitalisierung“ in Bezug auf die Gesundheit, denken die meisten Menschen an Fitnessarmbänder und -tracker oder an Apps, die zum Joggen oder Work-out motivieren. Ein weiteres populäres Beispiel ist der 3D-Druck, mit dem sich Bauteile aus einem Guss herstellen lassen. Noch vor wenigen Jahren gab es diese Dinge noch nicht und so staunen viele über die zahlreichen Optionen, die die Digitalisierung eröffnen.

Kaum ein anderer Beruf verbindet technisches Interesse und handwerkliches Geschick mit biomechanischem Know-how und sozialpsychologischem Einfühlungsvermögen und dennoch ist er in weiten Teilen nicht bekannt: der Orthopädie-Techniker/die Orthopädie-Technikerin. In rund 2.000 Ausbildungsbetrieben wird dieser anerkannte Ausbildungsberuf derzeit in Deutschland vermittelt.

Alf Reuter, Präsident des Bundesinnungsverbandes für Orthopädie-Technik (Foto: Marcus Zumbansen)

Die Orthopädietechnik nutzt dieMöglichkeiten der Digitalisierung. An der Schnittstelle zwischen Mensch und Technik werden digitale Technologien und Arbeitsmittel dort eingesetzt, wo sie klare Vorteile für die Versorgung der Patientinnen und Patienten bringen. Die Orthopädietechnik ermöglicht bei der individuellen Anpassung, Modellierung und Fertigung z. B. von Prothesen und Orthesen gänzlich neue Möglichkeiten. Die Individualität des Menschen bleibt das Maß der Dinge. Dabei ergänzt die Digitalisierung das handwerkliche Können sowie das Einfühlungsvermögen der Technikerinnen und Techniker.

Die Gesundheitshandwerke gehören zu den Gewerken im Handwerk, die mit am stärksten vom Fachkräftemangel betroffen sind, dies betrifft insbesondere auch die Orthopädietechnik. Die Ausbildungszahlen steigen hier zwar, allerdings bleiben viele Lehrstellen unbesetzt. Laut der Fachkräfteengpassanalyse Juni 2018 der Bundesagentur für Arbeit gehören die Fachkräfte des Bereiches der Orthopädie- und Rehabilitationstechnik daher auch zu den Mangelberufen.

Für die FOM, die sich schwerpunktmäßig der angewandten Forschung widmet, ist die Orthopädietechnik daher in vieler Hinsicht ein interessantes Feld, in dem Technologie, Digitalisierung, Handwerk und Patientenversorgung zusammentreffen. „Eine disziplinübergreifende nachhaltige Lösung relevanter, praktischer Aufgabenstellungen mit Hilfe innovativer, smarter und vernetzter Technologien – das ist auch eine zentrale Aufgabe von Ingenieurinnen und Ingenieuren zur erfolgreichen Bewältigung wesentlicher gesellschaftlicher Herausforderungen und zur Sicherung des Spitzen-Technologie-Standorts Deutschland“, so Prof. Dr.-Ing. Thomas Russack, Direktor des Institute of Automation & Industrial Management (iaim) der FOM.

Im Rahmen der Thematik Technologie/Digitalisierung/Handwerk/Patientenversorgung befasst sich das iaim aktuell mit dem Projekt „Von der Natur lernen: Bionische Konstruktion & 3D-Druck“. Hier werden Experimentiersets zum Thema Bionik entwickelt. Diese sollen einen allgemeinen Einstieg in das interdisziplinäre Fachgebiet der Bionik ermöglichen sowie auch exemplarisch für eine Vertiefung am Beispiel des menschlichen Bewegungsapparates stehen.

Anfang März 2020 waren der Projektleitier Dipl.-Ing. (FH) Christoph Hohoff und der wissenschaftliche Mitarbeiter des Projektes Tommy Schafran M.Sc. M.Eng. zu Gast beim Projektpartner, dem Bundesinnungsverband für Orthopädietechnik.

„Vor knapp 300 Jahren galt die Arbeit eines Orthopädie-Technikers als Wunderwerk: Durch verschiedene Techniken des Bandagierens konnten Skoliosen von Kindern im Wachstum korrigiert werden.  Die im Mittelalter als ‚gottverlassen‘ geltenden Kinder konnten durch Orthopädie-Technik geheilt werden. Heute steht dem Orthopädie-Techniker ein nie gekannter Werkzeugkasten zur Verfügung, durch den er die Lebensqualität der Menschen in nie da gewesener Weise verbessern kann – die Digitalisierung schafft auch hier Möglichkeiten, die man früher nicht mal ahnen konnte. Jeder vierte gesetzlich Versicherte nimmt bereits heute die Leistung unseres Berufsstandes wahr, unter den Bedingungen des demographischen Wandels werden es immer mehr. Wir unterstützen das Projekt, das eine Möglichkeit bietet, dem Fachkräftemangel in unserem Gewerk ein Stück weit entgegenzuwirken“, so der Präsident des Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik Alf Reuter.

Das Projekt wird aus Mitteln des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) 2014 – 2020 „Investitionen in Wachstum und Beschäftigung“ und aus Mitteln des Landes NRW gefördert. 

Und das Projekt wird in Abstimmung mit dem zdi-Zentrum MINT-Netzwerk Essen durchgeführt, dessen Partnerin die FOM Hochschule ist. Das Essener zdi-Zentrum ist ein Gemeinschaftsprojekt von Schulen, Berufskollegs, Wirtschaftsverbänden und Institutionen, Unternehmen, freien Bildungsträgern, Hochschulen und Universitäten im Rahmen der Gemeinschaftsoffensive Zukunft durch Innovation.NRW (zdi). Zielsetzung des 2010 gegründeten zdi: die systematische Förderung des Nachwuchses in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik – kurz: MINT – mit Blick auf den gerade für die Wirtschaft erfolgskritischen Fachkräftemangel.

Yasmin Lindner-Dehghan Manchadi M.A. | Referentin Forschungskommunikation | 21.04.2020