„Wir brauchen eine Entprekarisierung des Pflegeberufs“ – Reporterin Anette Dowideit im Interview
06.11.2017 – Für den Wissenschaftsblog der FOM Hochschule ist Prof. Dr. David Matusiewicz in die Rolle des Interviewers geschlüpft. Gesprächspartnerin des ifgs-Direktors war Anette Dowideit, Reporterin des Investigativteams der „Welt“ und als solche Expertin für das Gesundheits- und Pflegesystems. Anlass des Interviews: die MDR-Sendung Stiefkind Pflege – was sind dem Staat die Alten wert?, an der Anette Dowideit als Gast teilgenommen hat.
Prof. Dr. Matusiewicz: Was sind Ihre Thesen zum Thema Pflege? Funktioniert das Modell Pflegeheim noch? Ist Digitalisierung wichtig?
Anette Dowideit: Wir müssen uns trauen, darüber nachzudenken, ob das Modell stationäres Pflegeheim ausgedient hat. Kaum jemand will hin, es ist teuer für die Volkswirtschaft, neue technische Möglichkeiten wie Telemedizin unterstützen alternative Formen der Pflege.
Prof. Dr. Matusiewicz: Das ist ein interessanter Ansatz. Ich gehe auch davon aus, dass die Menschen durch Ambient Assisted Living länger zuhause bleiben können – bis zu einem gewissen Punkt. Es braucht aber grundsätzlich ein neues Konzept für das Pflegeheim: Allein der Begriff schreckt ab. In Polen beispielsweise gibt es erste deutsche Seniorenresidenzen, die mehr an ein Wellness-Hotel erinnern als ein Pflegeheim. Und das für 1.000 Euro im Monat mit deutschsprachiger Leitung. Wie so oft geht es um Geld. Ist das Thema Wirtschaftlichkeit in einer Einheitskasse wichtig?
Anette Dowideit: Deutschland ist eines der reichsten Länder der Welt – und trotzdem sparen wir so sehr an der Pflege, dass wir massenweise Opfer produzieren. Die Opfer sind die Pflegebedürftigen – und die völlig überforderten Pflegerinnen und Pfleger, die sie versorgen. Zusammen bilden sie eine Art „Allianz der Elenden“.
Prof. Dr. Matusiewicz: Wie kann das Elend beendet werden? Wir setzen uns für die Akademisierung und damit Emanzipierung der Pflege ein. Ist die Pflege-Lobby gut aufgestellt? Oder ist die Pflege zu nett?
Anette Dowideit: Wir brauchen mehr als nur einen zaghaften „Mini-Aufschrei“ der Pflegerinnen und Pfleger, wie wir ihn gerade erleben (der Pflegeschüler aus der Merkel-Sendung; #Pflexit auf Twitter), um den Beruf aufzuwerten. Nämlich eine Entprekarisierung des Berufs. D.h. deutlich mehr Gehalt (nicht nur theoretisch per Tarifvertrag; auch faktisch durch Vertragsgestaltungen), planbare freie Tage etc..
Prof. Dr. Matusiewicz: Danke für das Interview.
Suche nach Beiträgen
Beitrag teilen
Pflegeausbildung stärken: Projekt „PfAu“ erfolgreich abgeschlossen – mit klaren Empfehlungen
Wie können Ausbildungsabbrüche in der Pflege verhindert und Kompetenzen gezielt gefördert werden? – Aufbauend auf den Ergebnissen aus dem Projekt „Erfolgreich für die Pflege qualifizieren“ hat das Folgeprojekt ...
WeiterlesenZehn Jahre Digital Health im Fokus – Ein Interview zur Erfolgsgeschichte der Tagung „eHealth & Society“
Zehn Jahre „eHealth & Society“ (eHS) – ein Jubiläum, das nicht nur für fachliche Exzellenz steht, sondern auch für beständiges Engagement, Teamgeist und Innovationskraft. Hinter der erfolgreichen Transfertagung steht ein engagiertes Tagungskomitee, das mit Weitblick und Leidenschaft Jahr für Jahr den Austausch zwischen Gesundheitswissenschaften und -praxis ermöglicht.
WeiterlesenInternationalisierung der Forschung an der FOM: Kooperation mit der TU Sofia und der FDIBA
Die FOM Hochschule verfolgt eine konsequente Internationalisierungsstrategie in der Forschung, um wissenschaftlichen Austausch, transnationale Netzwerke und anwendungsorientierte Erkenntnisse zu stärken. Ein zentrales Element dieser Strategie ist die Zusammenarbeit mit internationalen...
Weiterlesen