EUKO 2017: Digitalisierung & Kommunikation zwischen Euphorie und Unbehagen
24.10.2017 – Interdisziplinär und europäisch, zwischen Wissenschaft und Praxis. Mit diesen Worten lässt sich die Jahrestagung des Forschungsnetzwerks EUKO Mitte Oktober 2017 in Frankfurt am besten zusammenfassen. Referentinnen und Referenten aus Dänemark, Deutschland, Österreich, der Schweiz und der Türkei beleuchteten in 26 Vorträgen unterschiedliche Aspekte von Digitalisierung und Kommunikation. Dabei sorgte die Themenpalette von Führung und Marketing bis zu Recht und Stadtentwicklung immer wieder für intensive Gespräche – auch außerhalb des offiziellen Programms. Den Rahmen für den Austausch bildeten Räumlichkeiten der FOM Hochschule.
Von Schlüsselfaktoren digitaler Kommunikation
„Die Digitalisierung beschäftigt alle Gazetten“, betonte Tagungsleiter Prof. Dr. Marcus Stumpf bei seiner Begrüßung. „Wir nähern uns dem Ganzen in verschiedenen Schritten: Wir beginnen mit dem theoretischen Hintergrund und schließen am dritten Veranstaltungstag mit praktischen Beispielen.“ Eine gute Basis für die Tagung legte Wolfgang Hünnekens. Der Initiator des IEB Institut of Electronic Business stellte Ergebnisse der Studie Schlüsselfaktoren der digitalen Kommunikation vor. „Die digitalen Endgeräte verändern die Gesellschaft und den Menschen“, betonte er in seinem Vortrag. „Wir verhalten uns anders als vor 25 Jahren.“ Beispiele für diese Entwicklung hatte er en masse im Gepäck. „Durch die Verfügbarkeit digitaler Dienste fallen räumliche und zeitliche Grenzen weg. Das führt zu neuen Mediennutzgewohnheiten: Immer mehr Menschen sind immer erreichbar und kommunizieren ständig. Gleichzeitig setzen viele von ihnen verstärkt auf Teilen und Nutzen statt auf Kaufen.“
Was das für die Unternehmenskommunikation bedeutet, untersuchen Prof. Dr. Nicole Rosenberger und Markus Niederhäuser am IAM Institut für Angewandte Medienwissenschaft der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Auf der EUKO 2017 gewährten sie Einblicke in ihr Forschungsprojekt – darunter ein Framework für die Rolle der UK in der digitalen Transformation. „Auf der Makroebene Gesellschaft gilt es beispielsweise, Akzeptanz für die digitale Transformation zu schaffen“, konkretisierte Prof. Dr. Rosenberger. „Auf der Mesoebene Organisation gestaltet und begleitet die Unternehmenskommunikation die digitale Transformation, während sie auf der Mikroebene Corporate Communication digitale Kommunikation und Transformation ermöglicht.“
Gibt es den twitternden CEO?
Auf einen speziellen Aspekt der Unternehmenskommunikation konzentrierten sich Prof. Dr. phil. Dominik Pietzcker, Simone Ennenbach und Lara Lorenz von der Macromedia Hochschule Hamburg: den twitternden CEO. Die Forschenden haben sich die Accounts der Unternehmen in DAX, MDAX und TecDAX angesehen und herausgefunden, dass – obwohl Twitter insgesamt positiv wahrgenommen wird – nur 7 Prozent der Vorstandsmitglieder den Mikroblogging-Dienst nutzen. Das Potenzial des Mediums als Instrument für Krisenmanagement, Kundendialog, Eigen-PR oder Agenda-Setting werde schlichtweg noch nicht erkannt, zogen die Forschenden Bilanz. Eine schöne Gelegenheit für Vorstände, Vorreiter zu sein und via Twitter Persönlichkeit zu zeigen und ihr Netzwerk aufzubauen, so die Botschaft des Vortrages.
(Content) Marketing im Zeichen der Digitalisierung
Den Bogen von der Unternehmenskommunikation zu Marketing und Public Relations schlug u.a. Prof. Dr. Jan Lies. Der Wissenschaftler der FOM Hochschule stellte heraus: „Marketing 4.0 mit Content Marketing als neues Paradigma ist eigentlich eine Renaissance des Prinzips ‚Public Relations‘.“ Damit setze sich im (Online-)Marketing die Überzeugung durch, dass angebotene Inhalte Nutzerinnen und Nutzer interessieren und begeistern müssen. „Eine Erkenntnis, die schon immer eine Kernanforderung der PR gewesen ist.“
Ein Unternehmen, das diesen Grundsatz bereits verinnerlicht zu haben scheint, ist die Deutsche Bank. Nico Reinhold – bei dem Kreditinstitut verantwortlich für Video und Social Media – stellte in seiner Keynote die Economy Stories vor. Dahinter verbirgt sich ein Video-Format, das Menschen und Themen aus Wirtschaft und Wissenschaft in den Fokus stellt. Das Unternehmen selbst taucht nur im Abspann auf. „Unsere Content-Strategie verfolgt den Ansatz ‚Relevanz first‘: Wir konzentrieren uns auf das, was unsere Zielgruppe wirklich interessiert, denn sonst passiert mit den Inhalten nichts im Netz.“ Niemand hätte beispielsweise Lust auf Produkt-PR und würde sich ein Video zur Mobile-Banking-App ansehen. „Wenn wir dagegen einem Wissenschaftler über die Schulter schauen, der sich mit dem Design mobiler Applikationen beschäftigt, sieht das ganz anders aus.“ Dass diese Rechnung aufgeht, zeigen die Zahlen: Die Videos erzielen in den sozialen Medien überdurchschnittliche KPI-Werte, und auch die Interaktionen bei Facebook seien deutlich gestiegen, so Nico Reinhold.
Ein Blick auf die Schattenseiten der digitalen Transformation
Bei aller Euphorie für digitale Formate und Kanäle waren auf der EUKO 2017 auch kritische Stimmen zu hören. Eine gehörte Prof. Dr. Friederike Müller-Friemauth. „Obwohl die Digitalisierung momentan ohne Ende gepusht wird, fällt die Zwischenbilanz zur Umsetzung bislang eher mau aus“, bezog sich die FOM-Wissenschaftlerin auf aktuelle Studien. „Als Gründe werden Wissensdefizite, Datensicherheit und Internetgeschwindigkeit angeführt. Aber ich denke, es gibt weitere Punkte, die außerhalb unseres Sichtfensters liegen.“ So diagnostizierte sie ein allgemeines Unbehagen mit Blick auf die digitale Transformation. „Wir müssen uns in Zukunft mit einem Haufen von Avataren und Coaches rumschlagen, die von Unternehmen programmiert werden, die natürlich in erster Linie ihre eigenen Interessen verfolgen. Wir müssen uns mit dem Thema Identitätsdiebstahl befassen, wenn all unsere Daten in Zukunft in einer vermeintlich sicheren Cloud abgelegt sind.“ Dieses Unbehagen werde oft als Reaktanz auf die Digitalisierung ausgelegt, so Prof. Dr. Müller-Friemauth. Für Unternehmen bedeute das: Sie müssen bei ihren Kundinnen und Kunden Misstrauen ab- und Vertrauen aufbauen.
Dass das auch für die eigenen Mitarbeitenden gilt, stellte Melanie Malczok in ihrem Vortrag heraus. Digitalisierung sei in der Organisationskultur positiv besetzt, so die Doktorandin im interdisziplinären Binnenforschungsschwerpunkt PACE der Hochschule Osnabrück. Mitarbeitende würden zielorientiert geführt und erhielten Gestaltungsspielraum, um ihren eigenen Weg zu finden. „Doch was ist mit den Menschen, die nicht überall und immer arbeiten können und wollen? Es gibt Mitarbeitende, die nach wie vor an die Hand genommen werden wollen. Und für Blue Collar Worker ist die Digitalisierung ein permanentes ‚Ätschibätsch‘: Sie werden als Digitalisierungsverlierer abgestempelt, die bald überflüssig sind. Aber auch diese Menschen ziehen viel Selbstwert aus ihrer Arbeit…“ Um den Change-Prozess Digitalisierung für alle erfolgreich zu gestalten, sei deshalb Digital Leader Literary gefragt – bestehend aus Neugierde, Kenntnissen über aktuelle technische Entwicklungen sowie der Fähigkeit, Auswirkungen und Potenziale einschätzen und konkrete Prozesse mit den Mitarbeitenden bearbeiten zu können.
EUKO 2017 zum Nachlesen
Wer sich intensiver mit den Thesen von Melanie Malczok und ihren Mit-Referentinnen und -Referenten auseinandersetzen möchte, findet Abstracts der einzelnen Vorträge in Band 3 der Schriftenreihe des KCM KompetenzCentrum für Marketing & Medienwirtschaft der FOM Hochschule. Zudem werden peu à peu die Folien aller EUKO-Beiträge auf dieser Seite online gestellt.
- Schlüsselfaktoren der Digitalisierung – Entwicklungen auf dem Weg in die digitale Zukunft: Wolfgang Hünnekens
- Digitale Transformation – Ein Plädoyer für eine umfassende Ist-Analyse oder Warum Digitalisierung kein Selbstzweck ist: Julia Küter, Sabine Kirchhoff
- Framing the Digital Age – Unternehmenskommunikation für das Maschinenzeitalter: Friederike Müller-Friemauth
- Rolle der Unternehmenskommunikation in der digitalen Transformation: Nicole Rosenberger, Markus Niederhäuser
- Marketing, Relationship Marketing und Digitalisierung – eine kritische Diskussion hierarchischer Modellierungsmöglichkeiten: Janine Göttling, Florian Siems, Jasmin Graichen, Josephine Dölz
- Multisensorisches Onlinemarketing – neue Wege der Kundenansprache im digitalen Zeitalter: Mandy Nuszbaum
- Industrie 4.0 – eine Revolution auch für die Wissensarbeit in der Technischen Kommunikation: Michael Schaffner
- Audience Engagement und Listening Center – Trend- und Sentiment-Analyse von Social Media-Kommunikation am Beispiel „Industrie 4.0“: Volker M. Banholzer, Daniel Fiene
- Bedeutung der Digitalisierung in der arbeitsmarktgerichteten Unternehmenskommunikation – eine empirische Untersuchung mittelständischer Unternehmen: Frank Bensberg, Kai-Michael Griese, Andreas Schmidt
- Potenzial digitaler Kommunikation für Führung 4.0: Christoph Schönfelder
- Marketing 4.0 als „Old School“ des PR-Managements: Jan Lies
- Digitalisierung und Partizipation: Zum Fähigkeitsprofil von Führungskräften: Melanie Malczok, Sabine Kirchhoff
- Relevanz von Compliance bei digitalisierter Kommunikation in Cloud Computing-Lösungen: Jill Round
- Fehlt ein passendes Patentgesetz als Antwort auf die digitale Kommunikation? Thomas Heinz Meitinger
- Kapitalmarkt und Soziale Medien: (Auch) eine rechtliche Betrachtung: Christian Szücs
- Der twitternde CEO – Empirische Studien zum medialen Kommunikationsverhalten auf Vorstandsebene: Dominik Pietzcker, Simone Ennenbach, Lara Lorenz
- Social bots: Act like a human, think like a bot: Birgit Oberer, Alptekin Erkollar, Anna Stein
- Brand and Branded Communities und die Interaktion zwischen Unternehmen und Sportbegeisterten: Anja Janoschka, Seraina Mohr, Dominik Georgi, Susanne Ulrich
- Analyse und Einflussfaktoren einer Nutzung von Sharing Services: Dominik Georgi, Michael Boenigk, Esther Federspiel, Dorothea Schaffner, Susanne Ulrich
- „Spart Euch Euer Quiz“ – Digitale Stakeholderkommunikation am Beispiel von Deutsche Bahn Personenverkehr auf Facebook: Anne Grethe Pedersen
- Added value, convenience, usability: Algorithmen machen den Arzt überflüssig – am Beispiel des österreichischen Start-ups mySugr: Christina A. Becker
- Nächstenliebe 4.0: Werbepsychologie trifft Digitalisierung am Beispiel der BBT-Gruppe: Stefan Tewes, Martin Fuchs, Carolin Tewes
- Digitale Transformation und Kommunikation als Herausforderung für historische Vereine am Beispiel der Altnürnberger Landschaft e.V.: Klemens Waldhör
- Digitales Stammtischgespräch: Rekonstruktionen von Markenidentitäten von Fußballvereinen im Online-Fußballforum: Martin Nielsen
- Italy goes digital – zur integrierten Kommunikation italienischer Nahrungsmittelhersteller im internationalen Kontext: Sabine Heinemann
- Arbeitgeber-Image und Recruiting von Startups in der digitalen Zeit: Angela Bittner-Fesseler, Astrid Nelke
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