Corporate Health als strategische Lösung im Generationenwandel?  

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29.09.2017 – „Strategien und Faktoren erfolgreicher Mitarbeitergewinnung und -bindung“ stehen beim Treffen des Corporate Health Netzwerkes am 19. Oktober 2017 in Köln auf der Agenda. Als Referent ist auch Prof. Dr. Arnd Schaff vom ifgs Institut für Gesundheit & Soziales vertreten. Gemeinsam mit Markus A.W. Hoehner (CEO, EuPD Research Sustainable Management GmbH) spricht er über Corporate Health als strategische Lösung im Generationenwandel. Seine wichtigsten Thesen stellt er im Blog vor…

Herausfordernde Situation

In der heutigen Zeit sind generell wenig(er) Fachkräfte am Markt zu finden. Dieser Mangel wird zurzeit als höchstes Risiko für die Unternehmensentwicklung bewertet. Mehr als drei Viertel aller Unternehmen schätzen die Akquise von ausreichend qualifiziertem Personal als schwer oder sehr schwer ein. Diese Ergebnisse lieferte das aktuelle Mittelstandsbarometer 01/2017 von Ernst & Young, eine repräsentative Befragung von 3.000 mittelständischen Unternehmen in Deutschland mit 30 bis 2.000 Mitarbeitern. Laut der Studie entgehen dem deutschen Mittelstand bereits heute ca. 50 Mrd. Euro jährlich an Umsatz durch den Fachkräftemangel.

Die mittelständischen Unternehmen versuchen, durch verstärkte Personalakquise ein Gegengewicht zu schaffen, sind dabei aber im „war for talent“ nur mit einem Top-Brand erfolgreich. Insbesondere weniger beliebte oder bekannte größere Mittelständler und generell KMU haben dabei heute schon das Nachsehen.

Neues Personal kann also von vielen Unternehmen nur mit großem Aufwand gewonnen werden. Die Folge ist, dass bestehende Mitarbeitende deshalb unbedingt länger gesund und motiviert in der Arbeit bleiben müssen, damit Arbeitsabläufe und Umsatz überhaupt realisiert werden können. Dies gilt sowohl für die älteren Mitarbeitenden als auch für die weniger unternehmenstreuen Gruppen der Generationen Y und Z. Wenn Gesunderhaltung und Motivation nicht gelingen, verschärft sich der Kapazitätsengpass, die Kosten für Ersatzmaßnahmen steigen und die Produktivität sinkt. Das kann im Extremfall zu einer lebensbedrohlichen Situation für das Unternehmen führen.

Generationen Y und Z

Die Mitarbeitenden-Fluktuationsrate ist hoch und steigt weiter drastisch an. 2011 wurden nach Angabe des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln 27 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze neu besetzt, bis 2015 stieg der Anteil auf 33 Prozent an. Der GALLUP Engagement Index 2016 zeigt auf, das im Mittel aller Altersgruppen 85 Prozent der Mitarbeitenden entweder keine oder nur eine geringe emotionale Bindung an das eigene Unternehmen haben (n=1.413).

Das ist ein alarmierendes Zeichen dafür, dass die Hebel der Mitarbeitendenbindung verstärkt genutzt werden müssen. Ein wesentlicher Treiber für diese Entwicklung ist die sehr hohe Wechselbereitschaft der Generationen Y und Z. Eine Studie von Deloitte aus dem Jahr 2016 belegt eine Wechselbereitschaft von 34 Prozent dieser Generationen über den Zeitraum der kommenden zwei Jahre hinweg (Deutschland, n=300).

Nach den eher unternehmensloyalen Generationen der Babyboomer und Generation X stellen die Generationen Y und Z also eine ganz neue Herausforderung für die Unternehmen dar. Für diese Generationen ist Veränderung die Regel: Lange Unternehmenszugehörigkeit ist eher unattraktiv und stellt auf jeden Fall keinen Wert an sich mehr dar. Gleichzeitig ist die Erwartung an eine gute Lebensqualität hoch, insbesondere bei der Generation Z. Als Gesamtgruppe hat dabei vor allem die Generation Y schon heute eine erhebliche zahlenmäßige Bedeutung im Unternehmen. In Summe stellen die Generationen Y und Z inzwischen knapp über ein Drittel der Arbeitsbevölkerung, wie die Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen.

Wichtigster Bindungsfaktor ist laut einer aktuellen Umfrage des Personalberaters HAYS unter knapp 600 Führungskräften ein gutes Betriebsklima. Die bestimmenden positiven Einflussfaktoren auf das Betriebsklima sind Respekt und Wertschätzung, ein kollegiales Arbeitsumfeld und ein gutes Verhältnis zu den Vorgesetzten. Das korrespondiert sehr gut mit den wichtigsten Gründen für einen Arbeitgeberwechsel, die die TARGO Bank in ihrer Umfrage zur Attraktivität deutscher Arbeitgeber 2017 festgestellt hat: Mobbing, Stressbelastung und Streit mit den Vorgesetzten.

Die Führung eines Unternehmens bestimmt die Gestaltung des Betriebsklimas dabei wesentlich und hat also eine besondere Rolle als größter Potenzialfaktor, aber auch als größtes Risiko. Die Rolle der Führung ist dabei eine dreifache: zum einen als Impulsgeber und Motor der Veränderung, als Organisator eines effizienten und effektiven Change-Prozesses und nicht zuletzt auch als ganz persönliches Vorbild.

Ein gutes Betriebsklima ist von Gesundheit nicht zu trennen: Wenn sich das Betriebsklima verschlechtert, steigt die psychische Belastung der Belegschaft an und führt mittelfristig zu psychischen, psychosomatischen und physischen Erkrankungen. Top-Gründe für krankheitsbedingte Arbeitsausfälle sind heute Erkrankungen des Muskel- und Skelettsystems (u.a. chronische Rückenschmerzen), Erkrankungen der Atemwege (u.a. Erkältungen) und psychische Erkrankungen. Dies legt der DAK Gesundheitsreport 2017 offen – die drei Top-Ausfallursachen bedingen in Summe etwa 54 Prozent aller Ausfalltage. Die psychischen Erkrankungen stehen dabei mit etwa 17 Prozent auf Platz 2. Die Neurowissenschaften belegen heute mit einer zunehmenden Anzahl von Untersuchungen die wechselseitige Abhängigkeit zwischen der psychischen Situation und dem körperlichen Befinden.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass das Betriebsklima nicht von der gesundheitlichen Tendenz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu trennen ist. Gleichzeitig stellt es einen guten Frühindikator für die eher mittel- und langfristig eintretenden gesundheitlichen Beanspruchungsfolgen dar. Es ist daneben das wichtigste Instrument der Unternehmensleitung zur Bindung der wechselfreudigen Generationen Y und Z.

Generation Babyboomer und X

Ältere Beschäftigte, speziell aus der Babyboomer-Generation, haben in der Regel eine geringere Wechselbereitschaft. Sie neigen dazu, eher länger als jüngere Beschäftigte aus Sorge vor den Risiken eines späten Arbeitgeberwechsels in einer als belastend empfundenen Situation zu verbleiben. Arbeit hat den höchsten Stellenwert und ein Wechsel wird nur bei gleichzeitigem beruflichem Aufstieg als positiv empfunden. Die Generation X weist ebenfalls ein großes Beharrungsvermögen in unangenehmen Situationen auf. Das Streben nach einer hohen Lebensqualität und Freiheitsgraden in der Arbeit mildert diese Tendenz allerdings in dieser Generation etwas ab.

Ein mittel- oder sogar langfristiger Verbleib in einer belastenden Situation führt zwangsläufig zu sinkender Motivation bis hin zu chronischer Erkrankung. Dabei sind, durch die vergleichsweise geringere Wechselbereitschaft, die Babyboomer und Generation X stärker betroffen. Dieses höhere Risiko addiert sich zu den mit zunehmendem Alter sowieso ansteigenden gesundheitlichen Risiken und der problembehafteten Annäherung an das Ende des Arbeitslebens.

Gleichzeitig werden die Unternehmensbelegschaften im Mittel immer älter. Der Prozentsatz der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten ab 55 ist nach den Daten des Statistischen Bundesamtes seit 2008 von einem Anteil von 13 auf knapp 19 Prozent in 2016 angestiegen. Auch in den kommenden Jahren ist ein weiterer Anstieg sicher.

Damit steigen in der Belegschaft sowohl das gesundheitliche Risiko wie auch das Risiko einer substanziellen und langfristigen Demotivation drastisch an. Finnische Untersuchungen zeigen, dass die Arbeitsfähigkeit zwischen dem 45. und 60. Lebensjahr um etwa 30 Prozent abnimmt. Durch die unmittelbaren als auch durch die mittelbaren Folgen (Krankheitskosten, Ersatzpersonal, Neubesetzungskosten, sinkende Produktivität durch Prozessstörungen aufgrund von Krankheit, Leistungsabfall durch Demotivation, Umsatzverlust durch Personalmangel) ergeben sich erhebliche Risiken für die Unternehmensprofitabilität, bis hin zu einer lebensbedrohlichen Situation.

Die demographische Entwicklung wird in den kommenden Jahren für eine weitere Verschärfung der Problematik sorgen. Beginnende Entlastung ist erst Ende der 2020´er Jahre zu erwarten. Die Mehrzahl der Unternehmen weist dabei den Geflüchteten nach den Ergebnissen des Mittelstandsbarometers 01/2017 von Ernst & Young einen höchstens geringfügigen Einfluss bei der Lösung des Fachkräftemangels zu.

Generation Management als Anforderung des Risk Managements

Personalmangel, Fluktuation, Krankheit, sinkende Leistungen und Effizienzverluste in den Unternehmensprozessen stellen einzeln, aber vor allem in Summe einen ganz erheblichen Risikofaktor für Unternehmen dar.

Ein Risikomanagement ist notwendig und hat mittlerweile sogar in die Qualitätsnorm DIN EN ISO 9001 Einzug gehalten. Dort wird unter anderem die Risikoidentifizierung, -bewertung und Maßnahmenplanung zur Absicherung der Unternehmensprozesse gefordert. Auch in anderen Bereichen ist die Betrachtung von Risiken geregelt, zum Beispiel im „Deutschen Corporate Governance Codex“ sowie im „Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich KonTraG“ und dem „Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz BilMoG“, mit zahlreichen Auswirkungen im Aktiengesetz und Handelsgesetzbuch.

Mit dem Einzug des Risikomanagement-Gedankens in die Gesetzes- und Normenwelt steigen gleichzeitig auch die Anforderungen an Abschlussprüfer. Sie müssen sich gemäß den gesetzlichen Vorschriften von der Funktionsfähigkeit des Risikomanagement-Systems überzeugen. Dazu gehört heute sicher auch die Betrachtung der Vorkehrungen des Unternehmens hinsichtlich der demographischen und generationellen Entwicklungen.

Fazit

Die Geschäftsführungen werden von zwei Seiten mit der Notwendigkeit des Generation Risk Managements und der dazu notwendigen Veränderungen konfrontiert: Einerseits ist ein profitables Wirtschaften im Generationenwandel nur möglich, wenn sich die Unternehmen auf die veränderten Bedürfnisse der Belegschaften einstellen, zum anderen ist die Betrachtung des Risikofaktors Generationenwandel in vielen Fällen gesetzliche Anforderung.

Die inhaltliche Anforderung ist dabei in zwei Richtungen ausgeprägt: Die Menschen der Altersgruppen Y und Z müssen motiviert und damit überhaupt im Unternehmen gehalten werden; die Menschen der Babyboomer-Generation und Generation X müssen in ihrer Gesunderhaltung unterstützt werden.

Prof. Dr. Arnd Schaff, ifgs Institut für Gesundheit & Soziales