Betriebliches Gesundheitsmanagement ist tot: Plädoyer für eine neue Positionierung
02.06.2017 – Nice to have oder wirklich effektiv? Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) wird nach wie vor heiß diskutiert – vor allem auf den zahlreichen Veranstaltungen rund um das Thema. In der Praxis sieht das allerdings ganz anders aus: Bei einer großen Zahl wesentlicher Entscheidungsträger in Unternehmen zieht BGM nicht mehr! In vielen Fällen ist es so, dass es als reine Personalmarketing-Maßnahme eingestuft wird oder als Begriff sogar negativ belegt ist: Es kostet nur Geld und Zeit, bringt aber nichts. Oder: Die Wirkung ist höchstens rudimentär erkennbar, und vor allem gibt es viel wichtigere Management-Themen. Damit ist BGM als strategische Initiative praktisch tot – wenn das Management keine Priorität auf BGM legt, werden keine ausreichenden Ressourcen zugeordnet. Es bekommt keinen Platz auf den Agenden der Führungszirkel und verschwindet so in der Bedeutungslosigkeit vereinzelter Initiativen, die auf Sachbearbeiterebene gesteuert werden.
Warum ist das so? Bisher ist es zumindest in der Breite der Unternehmen nicht gelungen, den Nutzen und die Relevanz von BGM aufzuzeigen. Viele andere Themen erscheinen auf den Führungsetagen der Unternehmen eine viel höhere Bedeutung zu haben: Digitalisierung in der Industrie 4.0, Fachkräftesicherung, Demografie-Management, Internationalisierung und Führungskultur – um nur einige Beispiele zu nennen. Nach meiner Beobachtung findet sich auf entsprechenden Veranstaltungen ein breites Publikum hochrangiger Unternehmensvertreter, wohingegen auf den meisten BGM-Veranstaltungen kaum obere Führungskräfte gesichtet werden.
Tragisch für BGM ist, dass bei allen genannten Schlagworten das Thema physische und psychische Gesundheit hoch relevant ist: Die Digitalisierung fordert insbesondere ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in hohem Maße heraus und belastet somit die Gesundheit. Der Bogen zum Demografie-Management ist damit geschlagen: Wie kann es im Zuge des drohenden oder schon existenten Fachkräftemangels, in Zeiten immer älter werdender Belegschaften gelingen, ältere Mitarbeitende gesünder und motivierter länger im Unternehmen zu halten? Aber auch die Sicherung jüngerer Fach- und Führungskräfte hat viel mit BGM zu tun – Stichwort Burn-out Prävention durch Gestaltung der Arbeitswelt und Führungskultur. Last but not least bleibt das Thema der drohenden Vereinzelung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einer immer weiter fortschreitenden Virtualisierung der Prozesse – mit entsprechenden Folgen für die psychische Gesundheit.
Die Inhalte und Botschaften des BGM sind also wichtiger denn je – um die drängenden Probleme unserer Zeit lösen zu helfen. Gemäß dem alten Marketing-Grundsatz, dass der Wurm dem Fisch und nicht dem Fischer schmecken muss, ist der Ausweg aus der Positionierungskrise des BGM klar: Wir müssen uns als BGM-Spezialisten dorthin begeben, wo die Probleme bestehen; in die Themenfelder hinein, die die volle Aufmerksamkeit des Managements haben – und dort mit unserem BGM Know-how unterstützen. Nur so besteht überhaupt die Chance, in Breite gehört zu werden und wirklich einen Change-Prozess im Unternehmen anzustoßen.
Mein Plädoyer ist insbesondere relevant im Bereich kleinerer Konzernunternehmen und KMU – viele Großunternehmen haben den Wert von BGM erkannt und entsprechende Strukturen mit hoher Wirksamkeit eingerichtet. Dort besteht mittlerweile ein großer praktischer Erfahrungsschatz, der gehoben werden kann – für die große Mehrheit der Beschäftigten in unserer Gesellschaft, die eben nicht in Großunternehmen beschäftigt sind.
Prof. Dr. Arnd Schaff, ifgs Institut für Gesundheit & Soziales
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