„Reha statt Pflege“ – gesundheitspolitische Regelstrategie notwendig
17.10.2016 – Jeder Pflegebedürftige kostet die soziale Pflegeversicherung rund 9.000 Euro pro Jahr. Bis 2040 wird sich ihre Zahl aufgrund des demografischen Wandels verdoppeln. Wie kann Deutschland diese Herausforderung meistern? Durch Rehabilitation statt Pflege, lautet ein Ansatz. Was sich dahinter verbirgt und wie die praktische Umsetzung aussehen kann, stand im Zentrum einer Veranstaltung Anfang Oktober in München. Gastgeber: die Wilhelm Löhe Hochschule Fürth und die FOM Hochschule.
Die Begrüßung der Teilnehmenden übernahmen Prof. Dr. Gerald Mann (wissenschaftlicher Gesamtstudienleiter der FOM München), Prof. Dr. David Matusiewicz (Direktor des ifgs Institut für Gesundheit & Soziales) und Prof. Dr. Jürgen Zerth (Vizepräsident, Leiter Forschungsinstitut IDC Wilhelm Löhe Hochschule Fürth). Sie erläuterten u.a. die Zielsetzung von Reha statt Pflege. Prof. Dr. Matusiewicz: „Bei diesem Ansatz geht es darum, durch medizinische Rehabilitation körperliche und geistige Aktivität im Alter zu erhalten und dadurch betroffenen Menschen so lange wie möglich ein von fremder Hilfe unabhängiges Leben zu ermöglichen.“ Dass dabei sowohl Umsetzungsschwierigkeiten als auch Anreizprobleme auftauchen, wurde im Laufe der Veranstaltung klar…
Als erste Referentin trat Stefanie Eickmeier ans Podium. Die Geschäftsbereichsleiterin Versorgung der Novitas BKK warf durch die Brille der Kranken-/Pflegekasse einen Blick auf das Thema. Ihre These: Durch die Tatsache, dass die Pflegeversicherung kein Reha-Träger im Sinne des Sozialgesetzbuches ist, verbleiben die Kosten für eventuelle Rehabilitationsmaßnahmen bei den einzelnen Krankenkassen – ein systemischer Fehlanreiz. Schließlich habe die Pflegeversicherung – anders als die Krankenkassen – keine Wettbewerber und somit keine Notwendigkeit, Rehabilitationspotenziale mit Pflegeausgaben zielgerichtet zu vergleichen. Stefanie Eickmeiers Lösungsvorschlag: Die Pflegeversicherung wird zum Leistungsträger nach dem Sozialgesetzbuch.
Für den Medizinischen Dienst der Krankenversicherungen (MDK) in Bayern beleuchtete Thomas Muck die Thematik. Der Leiter der Sozialmedizinischen Expertengruppe „Pflege“ stellte heraus, dass es sich sowohl bei Reha als auch bei Pflege um zwei unbestimmte Begriffe handele und das Schlagwort „Reha vor Pflege“ ebenfalls eine pauschale Forderung sei, die gesicherte Erkenntnisse suggeriere. Deshalb schlug er vor, Ziele und Erwartungen klar zu benennen und valide Daten zum Nutzen von Rehabiliationsmaßnahmen zu schaffen, gerade auch hinsichtlich ihrer tertiärpräventiven Wirkung. Das Wichtigste sei, eine unreflektierte Vorgehensweise zu verhindern und stattdessen effektiv und zielgerichtet vorzugehen – ganz im Sinne der Pflegebedürftigen.
Die Perspektive der Leistungserbringer vertrat Karoline Körber. Sie leitet den Geschäftsbereich Rehabilitation, Recht und Verträge beim Bundesverband Deutscher Privatkliniken e.V. und gab in ihrem Vortrag einen Überblick über Reha-Leistungen, Pflegebegutachtung und Zugang zur Reha. Dabei stellte sie heraus, dass Rehabilitationsverantwortung und Rehabilitationsrisiko bei unterschiedlichen Trägern – nämlich der Krankenkassen auf der einen, und der Pflegekasse auf der anderen Seite – liege. Als dritte Kraft brachte sie die (Haus)Ärzte ins Spiel: Ihre Position müsse gestärkt werden, damit sie Rehabilitationsverordnungen auslösen könnten. Schließlich kenne ein Hausarzt seine Patienten gut genug, um eine drohende Pflegebedürftigkeit frühzeitig zu erkennen.
Bernhard Seidenath, der stellvertretende Gesundheitsausschussvorsitzende im Bayerischen Landtag, adressierte die Notwendigkeit einer sektorenübergreifenden Sichtweise. Gerade flexiblere Formen von Pflege- und Unterstützungsleistungen würden bei sektorübergreifenden Betreuungskontexten an Bedeutung gewinnen. Als wichtiges gesundheitspolitisches Instrument habe etwa der § 39 c SGB V (Kurzzeitpflege bei fehlender Pflegebedürftigkeit) einen wichtigen Brückenschlag geleistet.
Zum Abschluss der Veranstaltung wurden die Perspektiven aller Vortragenden in einem Thesenpapier zusammengefasst. Dieses wird mit Ingrid Fischbach, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit, diskutiert und in Kürze veröffentlicht.
Stefanie Bergel, Referentin Forschungskommunikation
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