Anreizregulierung in der Energiewirtschaft: FOM-Absolventin veröffentlicht Thesis zur Berechnung des sektoralen Produktivitätsfaktors  

Carolin Jahn an ihrem Arbeitsplatz bei der Mainova AG
Carolin Jahn an ihrem Arbeitsplatz bei der Mainova AG

29.09.2016 – Das Thema klingt sperrig, ist aber aktueller denn je: Carolin Jahn hat in ihrer Thesis mögliche Ansätze zur Bestimmung des sektoralen Produktionsfaktors für die dritte Regulierungsperiode in der Anreizregulierung untersucht. Ihre Ergebnisse gibt es ab sofort zum Nachlesen. Die FOM-Absolventin und Regulierungsmanagerin bei der Mainova AG hat ihre Bachelor-Arbeit im Metropolis Verlag veröffentlicht. Unterstützt wurde sie dabei von ihrer Professorin Dr. Claudia Rose. Im Interview verrät die frischgebackene Autorin, wie es zur Publikation kam und was es mit dem sogenannten generellen X-Faktor auf sich hat.

Für die energiewirtschaftlichen Laien unter uns: Warum ist der sektorale Produktivitätsfaktor von so großer Bedeutung für die Energiewirtschaft?

Carolin Jahn: Der X-Faktor ist eine kleine Zahl mit erheblicher monetärer Bedeutung für die deutschen Strom- und Gasnetzbetreiber. Seit 2009 kommt zur Festsetzung von Netznutzungsentgelten in der Energiewirtschaft die sogenannte Anreizregulierung zum Einsatz – ein behördliches Instrument zur Regulierung monopolistischer Märkte. Zielsetzung: die Betreiber von Gas- und Stromnetzen zu mehr Effizienz und somit Kostensenkungen zu bewegen, um diese an die Verbraucher weiterzugeben. Dabei werden den Netzbetreibern Erlösobergrenzen vorgegeben. Die Formel zur Bestimmung dieser Grenzen berücksichtigt für alle Netzbetreiber gleichermaßen einen von der Regulierungsbehörde festgelegten Prozentsatz: den generellen sektoralen Produktivitätsfaktor. Er soll widerspiegeln, in welchem Ausmaß in der Energiewirtschaft mehr Produktivität sowie günstigere Einstandspreise erreicht werden können als im Rest der Wirtschaft, und soll letztlich zu Effizienzsteigerungen im Netzbetrieb führen. Dabei schwingt die Annahme mit, dass die Branche noch nicht produktiv genug ist.

Also generell schon ein strittiges Thema…

Carolin Jahn: Definitiv. Hinzu kommt, dass die erstmalige Berechnung des Faktors durch die Regulierungsbehörde im Jahr 2006 sehr kontrovers diskutiert wurde. Viele Unternehmen und Fachleute hatten Zweifel hinsichtlich der Vorgehensweise. Umso größer ist die Spannung aktuell: Die Regulierungsbehörde hat für die 2018/2019 beginnende dritte Regulierungsperiode ein Gutachten zur Bestimmung des generellen sektoralen Produktionsfaktors in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse sollen im November dieses Jahres veröffentlicht werden.

Und an diesem Punkt setzt auch Ihre Arbeit an.

Carolin Jahn: Richtig. Ich habe mir das Berechnungsmodell von 2006 angesehen und zunächst rekonstruiert. Auf Basis der damals geäußerten Kritiken und Stellungnahmen habe ich dann alternative Ansätze und Optimierungsmöglichkeiten bei der Ermittlung des Faktors analysiert und berechnet. Dabei habe ich verschiedene Szenarien mit zeitlichen und inhaltlichen Sensitivitäten durchgespielt.

Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?

Carolin Jahn: Die Auswertung der Szenarien hat eine Spannweite des Faktors von 1,48 bis 2,77 Prozent ergeben. Kombiniert man die beiden inhaltlichen Sensitivitätsanalysen, die die Berechnung methodisch und sachlich ausgestalten, lässt sich als weiteres Ergebnis ein genereller X-Faktor von -1,37 Prozent ableiten. Das zeigt: Die vielfältig verfügbaren Berechnungsmethoden und Ausgestaltungsmöglichkeiten führen lediglich zu einer Bandbreite, jedoch nicht zu einem eindeutigen Ergebnis.

Was bedeutet das für die Branche?

Carolin Jahn: Das Ergebnis kann man als Argument nutzen, um sich für eine Aussetzung der Produktivitätsvorgabe auszusprechen. Zumindest für die dritte Regulierungsperiode. Viele Unternehmen und Verbände plädieren beispielsweise dafür, den Faktor auf null zu setzen – vor allem angesichts der vielen Herausforderungen, vor denen die Energiebranche aktuell steht. Für die Regulierungsbehörde stellt sich diese „ob“-Frage allerdings nicht. Es geht ihr lediglich darum, wie der X-Faktor am besten berechnet werden kann. Es wird ab November also wohl eher eine politische als eine wissenschaftliche Diskussion geben.

Sind Ihre Erkenntnisse denn in Unternehmen und Verbänden bereits bekannt?

Carolin Jahn: Bislang haben lediglich Prof. Dr. Rose und einige KollegInnen aus der Branche meine Arbeit gelesen. Die Ergebnisse fließen trotzdem in den aktuellen Prozess ein: Ich bin Mitglied eines vom Bundesverband der Energie- und Wasserversorger ins Leben gerufenen Gremiums, das zusammen mit einem Beratungsunternehmen ein eigenes Gutachten zur Berechnung des X-Faktors erstellt und den Festlegungsprozess des X-Faktors aus dem Blickwinkel der Branche begleitet. Im Zuge dieser gemeinsamen Arbeit bringe ich natürlich meine Erkenntnisse ein, die ich mit der Arbeit gewinnen konnte.

Mehr Produktivität in der Energiewirtschaft?
„Mehr Produktivität in der Energiewirtschaft?“ lautet der Titel von Carolin Jahns Publikation.

Für Außenstehende klingt das alles sehr komplex. Wie viel Zeit haben Sie in Ihre Abschlussarbeit investiert?

Carolin Jahn: Ziemlich viel. Im Vorfeld musste ich beispielsweise abklären, ob meine Idee überhaupt umsetzbar ist. Dazu habe ich mit vielen KollegInnen gesprochen. Allein für die Berechnungen habe ich dann sechs Wochen gebraucht. Danach habe ich mir den theoretischen Vorbau angesehen: Wie hat sich die Regulierung in Deutschland entwickelt? Was war der Anlass? Und was genau ist der Produktivitätsfaktor? Anschließend kam dann noch der Rahmen: Wo ist Optimierungsbedarf? Und was sind mögliche Auswirkungen?

Auf jeden Fall habe ich genau das gemacht, was ich mir bei den ersten Überlegungen zur Bachelor-Thesis vorgenommen habe: Ich wollte Theorie und Praxis verbinden und gleichzeitig etwas mit Zahlen bzw. Berechnungen machen.

Wann kam die Idee zur Veröffentlichung auf?

Carolin Jahn: Im Kolloquium. Prof. Dr. Rose fragte, ob ich die Ergebnisse meiner Arbeit publizieren würde. Schließlich sei das Thema sehr aktuell und zu schade, um in der Schublade zu verschwinden. Darüber hatte ich mir zu dem Zeitpunkt ehrlich gesagt überhaupt keine Gedanken gemacht. Aber auch mein Vorgesetzter fand die Idee sehr gut.

Prof. Dr. Rose hat dann Kontakt zu verschiedenen Verlagen aufgenommen, und gleich mehrere haben Interesse bekundet. Letztlich ist es Metropolis geworden – mit seinen Schwerpunkten Ökonomie, Gesellschaft und Politik.

Geht es, nachdem Sie jetzt erste Erfahrungen im wissenschaftlichen Arbeiten gesammelt haben, direkt weiter mit einem Master-Studium?

Carolin Jahn: Die Frage kommt immer mal wieder auf, und grundsätzlich hätte ich auch Interesse… Aber erstmal nehme ich mir eine Auszeit vom Lernen. Das berufsbegleitende Bachelor-Studium war eine spannende und sehr intensive Zeit, aber jetzt möchte ich mich auf meinen Job konzentrieren und die wiedergewonnene Freizeit genießen.