#silicon #values – Was treibt kalifornische Ökonomie?
Teil 1 der Silicon Valley-Reihe: Die Welt ist nicht genug
02.03.2016 – Sind die technologischen Innovationen aus Kalifornien tatsächlich das Produkt einer „eiskalt funktionierenden Geldmaschine“, wie das Manager Magazin titelte? Oder trifft das Gegenteil zu: Entwickeln die Kalifornier ihre scheinbar unendlichen Neuheiten auf Basis eigener Werte- und Zukunfts-Agenden? Wollen sie gar keine neuen Produkte, sondern eine brave new world?
Unsere ökonomischen Leitmedien behaupten Ersteres. Die „Schuldigen“: eine eigene, durch jahrzehntelanges Hochzüchten nur schwer kopierbare Start up-Kultur; eine beispiellose Investorendichte mit hoher Risikobereitschaft; und der finanzielle und politische Rückenwind aus Politik, Rüstungs-, Luft- und Raumfahrtindustrie. Disruption? Der Strom der europäische Unternehmensvoyeure ist schier unglaublich; und die Prophetien der Extreme auch. So malt die Harvard Professorin Shoshana Zuboff ein neues Reich ohne historisches Beispiel an die Wand („Neo-Absolutismus“), während Stefan Quandt das genaue Gegenteil behauptet: Diese Ökonomie sei nicht zukunftsfähig. Die Kakophonie wird täglich schriller, zumindest der Unterhaltungswert stimmt.
Ein nüchterner Blick auf das, was erfolgreiche Innovationsführer tun, ist Schwerpunkt auch im KCT KompetenzCentrum für Technologie- & Innovationsmanagement der FOM Hochschule. Ihn ebenfalls auf das zu richten, was Silicon Valley-Unternehmer konkret sagen und tun, wie sie ihre Firmen führen und an was sie sich dabei orientieren, hilft, im Meinungsdickicht klarer zu sehen. Dabei kommt allerdings genau dann nichts heraus, wenn man alle Unternehmen dieser Region in einen Topf wirft. Hingegen kommen erstaunliche Einblicke heraus, wenn man sich an einem „idealtypischen“ harten Kern von Valley-Unternehmen orientiert, die das Image dieses disruptiven Unternehmertums geprägt haben – Leuten wie Steve Jobs, den Gründern von Google oder Facebook, oder auch Elon Musk. Sie stellen Extrembeispiele dar, gewiss; aber genau das macht sie interessant. Sind das einmalige Genies, die lediglich Bewunderung hinterlassen – und keine Schüler? Ist jemand wie Musk, der die Menschheit ins Sonnensystem expandieren lassen will, verrückt? Und was hatte Steve Jobs im Sinn, als er die Pläne für die neue Apple-Zentrale in Cupertino erstellte?
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Ihre Obsessionen verraten es. Wenn diese Entrepreneure nicht müde werden zu mahnen, dass die Menschheit – wenn es denn sein muss – einen Plan B braucht, um diesen Planeten verlassen zu können; oder wenn sich Architektur Weltraumfahrzeugen anverwandelt: Könnte sich dahinter mehr verbergen als bloßer Geschäftssinn, gepaart mit einem Händchen für Innovation? Allerdings sind die normativen Annahmen, die zu solchen Ideen führen, für europäische Augen und Ohren derartig fremd, dass sie kaum jemand ernst nimmt. Dabei geht es weder um neue Reiche noch betriebswirtschaftliche Absturzprognosen, sondern – bevor sich wie gewohnt vollmundig die Propheten zu Wort melden – zunächst einmal nur darum zu verstehen, was diese Unternehmer treibt. Ob man dem dann Sinn, Zukunft, Unverstand oder Allmachtsfantasien zuschreibt, steht auf einem anderen Blatt.
In dem gerade erschienenen Sachbuch Silicon Valley als unternehmerische Inspiration entziffern Dr. Rainer Kühn und ich, was sich hinter dem kalifornischen Ökonomie-Cluster verbirgt. Wir sind Zukunftsforscher und beschreiben das unternehmerische Konzept des Silicon Valley aus der Perspektive, aus der es entstanden ist: mit Blick auf nicht nur wirtschaftliche, sondern vor allem auch auf gesellschaftliche Ziele, die jenseits von Quartalszahlen und üblichen strategischen Planungshorizonten liegen. Die Langfristperspektive des Valleys ankert in der Vorstellung einer planetarischen Zivilisation, für die ein harter Kern von Valley-Unternehmen derzeit die nötigen Technologien entwickelt (Deutschland debattiert über Glyphosat im Bier). Dass diese Technologien nebenbei auch Unterhaltungs- und Autoindustrie, Satelliten-, Wohntechnik und Architektur bereichern („disruptieren“), ist eine hilfreiche Nebenfolge und sichert den Firmen Zeit weiterzumachen, während sich die Welt mit den neuen Produkten bespaßt. Dabei ist es verblüffend, wie offen die Valley-Unternehmen mit ihren Visionen umgehen, und mit wie viel Energie, Mühe und Aufwand es europäischen Gesellschaften gelingt, diese abzudunkeln, nicht ernst zu nehmen und zu übersehen. Ein ökonomisches Phänomen.
Mehr zu den #silicon #values am 9. und 23. März 2016.
Prof. Dr. Friederike Müller-Friemauth, KCT KompetenzCentrum für Technologie- & Innovationsmanagement
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