#silicon #values – Was treibt kalifornische Ökonomie?
Teil 2 der Silicon Valley-Reihe: Innovationstreiber
09.03.2016 – Betriebswirtschaftliches Innovationsmanagement ist ein traditionsreiches Gebiet im Entrepreneurship – das KCT KompetenzCentrum Technologie- & Innovationsmanagement der FOM Hochschule beschäftigt sich intensiv mit entsprechenden Trends und neuen Entwicklungen. Praktizieren kalifornische Unternehmen etwas anderes als das, was in Europa Standard ist?
Beobachtet man die Kommunikationspolitik dieser Unternehmen, kommt dieser Verdacht auf. Moonshots? Hinter den Innovationen liegen Visionen, die von heute aus betrachtet den meisten illusionär, oftmals abgedreht und unrealistisch erscheinen. Aus kalifornischer Sicht raubt ihnen dies jedoch nichts von ihrer Bedeutung. Wie kann etwas handlungs- beziehungsweise innovationsleitend sein, das gegenwärtig als unmöglich gilt?
Eine Antwort auf dieses Kuriosum liegt in kulturellen Unterschieden, die es in diesem Fall nicht nur zwischen Europa und den USA gibt, sondern auch zwischen den USA und ihrem äußersten Westen. In Kalifornien entstand seit etwa Mitte des 19. Jahrhunderts eine im Grunde insuläre Gesellschaft, die seither beispiellos selbstbezogen ihr eigenes Können immer weiter maximiert. Die besondere, durch Pazifik, Berge und Wüste nach drei Seiten abgeschottete geografische Lage Kaliforniens, gepaart mit einer sehr speziellen Geschichte aus Goldrausch, gewaltigen ökonomischen wie politischen Sprüngen vor und zurück, riesigen Immigrantenströmen, einer extrem „diversen“, multikulturellen Entwicklung und einem ausgeprägten Drang, sich immer wieder neu zu erfinden, wurde zum Nährboden der ersten „globalen“ Denkungsart. Auf diesem Boden entstand ein geradezu zukunftsversessenes ökonomisches Cluster: mittels einer jahrzehntelang gärenden Mischung aus Kreativität und Exzentrik, technologischen Utopien, dem Wechsel von extrem konservativen mit extrem progressiven Regierungen sowie einer hohen Diversität aufgrund der anhaltenden Einwanderung. Kalifornien ist ein humanes Experiment auf einer „Insel auf Land“, wie die Kalifornier selbst formulieren. Darüber entwickelte sich eine Art Monokultur, deren sozioökonomische Konsequenzen für den Rest der Welt erst seit wenigen Jahrzehnten wahrnehmbar werden.
Unternehmerische Innovationstypen und -modelle sind grundsätzlich kulturabhängig und sozial „formatiert“. Folglich gibt es viele Modelle; und in Kalifornien ein besonderes, das gebunden ist an Antizipationen: an das, was sich die Kalifornier über lange Zeit in ihrem eigenen Kontext ohne (erzwungene) Rücksicht auf andere gewünscht, dies als Messlatte für ihr selbstbezogenes Handeln genommen und meist sehr erfolgreich umgesetzt haben. Heute steigern und expandieren sie ihr regionales Modell in globalem Maßstab weiter. Sie nutzen ihr Erfolgsmodell dafür, ein kulturell distinktes Ökonomieverständnis durchzusetzen und auf diesem Wege zu optimieren.
Die Frage, ob deren Innovationsdenken unserem betriebswirtschaftlichen Innovationsmanagement entspricht, ist deshalb keine Frage, die hier weiterhilft. Sie trifft nicht den Punkt, um den es geht: um Innovationspipelines, Methoden der Enthierarchisierung, mehr Kreativität oder ‚besser Erfinden’ jedenfalls nicht. Vielmehr entwickeln Kalifornier Unternehmen auf Basis einer Idee, von der sie so überzeugt sind, dass sie sie gegen alle Widerstände durchboxen. Und die Mittel dazu, eine vorerst irreale Idee auch technologisch, sozialpolitisch oder sogar physikalisch auch tatsächlich real zu machen, werden sich auf dem Weg dorthin schon finden. Die Begründung dieser Don Quichotte-Ökonomie („to dream the impossible dream“) ist schlicht: Das hat in diesem Land bereits mehrfach hervorragend funktioniert, Punkt. Skeptikern, die im ökonomischen Bereich keine Märchen erzählt bekommen wollen, werden bei ihrem Besuch im Valley höflich zum Essen eingeladen und herumgeführt, ansonsten aber genauso höflich verabschiedet – und konzeptionell ignoriert. Was uns zu der Prognose führt, dass der nicht abreißende Strom der europäischen Firmen-Pilger in God’s Own Country im Verständnis des Valley auch künftig nicht weiterhilft.
Da niemand behaupten kann, diese Ökonomie sei nicht erfolgreich, lohnt ein genauerer Blick darauf. In dem gerade erschienenen Sachbuch Silicon Valley als unternehmerische Inspiration entziffern Dr. Rainer Kühn und ich, was sich hinter dem kalifornischen Ökonomie-Cluster verbirgt. Wir sind Zukunftsforscher und beschreiben das unternehmerische Konzept des Silicon Valley aus der Perspektive, aus der es entstanden ist: mit Blick auf nicht nur wirtschaftliche, sondern vor allem auch auf gesellschaftliche Ziele. Eine Fundgrube für diejenigen, die sich für die eigentlichen Inspirationsquellen des kalifornischen Wirtschaftens interessieren.
Am 23. März erscheint der dritte Beitrag unserer Serie über die Silicon Values, bei dem es um die Frage nach Strahlkraft und Sympathie dieser Ökonomie für Europa geht.
Prof. Dr. Friederike Müller-Friemauth, KCT KompetenzCentrum für Technologie- & Innovationsmanagement
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