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27.04.2017 – In ihrem gerade in der FOM-Edition erschienenen Fachbuch Ökonomische Zukunftsforschung: Grundlagen – Konzepte – Perspektiven beschreiben Prof. Dr. Friederike Müller-Friemauth und Dr. Rainer Kühn konzeptionelle Fundamente der Zukunftsforschung, einer ursprünglich US-amerikanischen Querschnittsdisziplin. Neben einem angepassten Wissenschaftsleitbild geht es vor allem um unternehmerische Anwendungsfelder: Organisationsentwicklung, Innovationsmanagement und die Wirkungsweise zukunftsforscherischer Verfahren. Was es damit auf sich hat, erklären Sie hier in Form kurzer Wissens-Nuggets: Wo steht Zukunftsforschung heute?
Teil 6: Wissenschaftliche Zukunftsforschung als Kunst
Einer der deutschen Begründer wissenschaftlicher Zukunftsforschung war in den 1960er und 1970er Jahren der Politologe Ossip K. Flechtheim (FU Berlin, Otto-Suhr-Institut; neben Rolf Kreibich, damals Präsident der FU). Ihm zufolge ist Zukunftsforschung eher Kunst als Wissenschaft. In der Kunst gestalte der Akteur seinen Gegenstand selbst – und dem müssten auch die Sozialwissenschaften Rechnung tragen. Denn die gesellschaftliche Entwicklung würde schließlich vom Menschen gemacht, und das sei bewusst und systematisch in Zukunftsaussagen einzubeziehen. Zukunft erschaffe sich nicht automatisch aus sich selbst heraus, unabhängig von uns, sie wird erschaffen.
Dieser Gestaltungsmoment ist einer der Kernwerte von Zukunftsforschung: Die Disziplin ist strikt auf die soziale Praxis ausgerichtet. Ob es für ihre – mitunter extravagant anmutenden – Methoden bereits eine kohärente „Theorie“ gibt, ist nicht so wichtig. Wenn ein Vorschlag funktioniert, wird sich die Theorie dafür schon einfinden. Praxis vor Theorie, lautet das Motto. In der Wissenschaft gilt (bisher) das Umgekehrte. Selbst bei Experimenten oder induktiver Forschung ist das Ziel, ein Muster, Hypothesen für letztlich allgemeingültige, objektivierbare Aussagen zu bestimmen (Priorität der Sachlogik). Der Fluchtpunkt ist immer ein universalistischer. Daher Flechtheims Kontrastierung mit Kunst: Hier herrschen Partikularismus und Originalitätsstreben par excellence.
Aber was bedeutet das? Wie lässt sich eine „Wissenschaft“ plausibel machen, die nach Art eines Künstlers einzigartige, noch nie dagewesene Aspekte, Ideen oder Dinge erschließt? Und was hieße dann „Wissenschaft“? WEITERLESEN… »