Smarte Mobilität: Zukunftsforschung in der Automobilbranche - Fallstudie zum Smart  

Foto: Petmal/Thinkstock

11.05.2017 – 2001 kam der Klein- und Stadtwagen Smart auf den europäischen Markt. Zusammen mit dem damaligen Leiter der Corporate Foresight der Daimler AG, Prof. Dr. Eckard Minx, hat Prof. Dr. Friederike Müller-Friemauth vom KCT KompetenzCentrum für Technologie- & Innovationsmanagement den insgesamt über 25 Jahre andauernden Foresight-Prozess dieser radikalen Innovation in einer aktuellen Veröffentlichung rekonstruiert und bewertet. Wie läuft ein komplexer Foresight-Prozess ab? In zwei Beiträgen stellt sie das Fallbeispiel vor und fasst zentrale Erkenntnisse zusammen.

Teil 1: Die Geburt des Smart aus dem Geiste der Zukunftsforschung

Zukunftsforschung auf unternehmerisch heißt ‚Corporate Foresight’. Der Begriff steht für strategische Frühaufklärung: Mit Hilfe von ersten schwachen Signalen wird im Umfeld eines Unternehmens nach geschäftsrelevanten Veränderungen gesucht. Zum Beispiel nach gesellschaftlichen oder technologischen Trends, Marktveränderungen oder neuartigen Kundenbedürfnissen. Das Ziel: nichts zu verpassen beziehungsweise „first to market“ zu sein mit frühzeitiger Chancennutzung und Innovationen, die an bereits beobachtbare Trends anknüpfen.

Auf diese Weise kam es auch zum Innovationsprojekt Smart. Ausgelöst durch verschiedene Gesellschafts- und Umweltereignisse („Ölkrise“, Individualisierung, verstärkter Zuzug in Metropolen, sich abzeichnende Probleme der Verkehrsführung inner- und außerorts, Parkflächennutzung bis hin zur automatischen Fahrzeugführung) identifizierte die organisationsinterne Forschung 1983 erstmalig die Basisanforderungen an ein Kfz, die für „weit mehr als die Hälfte des Nahverkehrs mit Pkw“ bedeutsam wären: ein Auto für zumeist einen Fahrer, mit geringem Gepäckraumbedarf, selten Geschwindigkeiten über 100 km/h, guten Parkplatzchancen und Manövrierfähigkeit.

Bereits seit Anfang der 1970er Jahre beschäftigte sich der Konzern mit dem grundlegenden Wandel individueller Flexibilität in Ballungsräumen und der Mobilitätssicherung in urbanen Regionen: Wie könnte der Stadtverkehr der Zukunft aussehen? Allerdings sollte es noch bis Mitte der 1990er Jahre dauern, bis erste Prototypen („Eco Sprinter“ und „Eco Speedster“) nach Designentwürfen des Advanced Design Studios Irvine, Kalifornien, offiziell vorgestellt wurden. Die Vision eines Stadtfahrzeugs stellte einen expliziten „Pfadbruch“ im Innovations-Mindsets des Daimler-Konzerns dar: Zwar sprach man noch nicht von einem „Urban Age“, aber zeitweilige Fahrverbote, die Schwankungen beim Ölpreis und geplante Zugangsbeschränkungen für Städte haben die Konzernführung veranlasst, Mobilitätsbedarfe nach neuartigen, das heißt auch gesellschaftlichen Kriterien zu bewerten. Die unternehmerische Umfeldperspektive wurde damit umjustiert, und die neue Langfristorientierung mündete unter anderem in radikaleren Fahrzeug- und Mobilitätskonzepten.

Diese grundlegende strategische Entscheidung des Unternehmens fußte also auf drei „Treibern“: zum einen auf den mobilitätspolitischen Antizipationen der hausinternen Zukunftsforscher, zum zweiten auf Prognosen der Marktforscher, wie sich die Verkehrssituation entwickeln würde; und zum dritten – und wichtigsten – auf einer absichtsvollen Schärfung der Unternehmensidentität durch die Konzernführung. Fortan wollte das Unternehmen wahrgenommen werden als Katalysator moderner, zukunftsorientierter Mobilität.

Prof. Dr. Friederike Müller-Friemauth, KCT KompetenzCentrum für Technologie- & Innovationsmanagement

Im nächsten Beitrag geht es darum, wie das Kunststück gelang, über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahrzehnten diese exzeptionelle Entscheidung durchzusetzen, das heißt den Innovationsprozess entgegen mancher Skepsis fortzusetzen und den Smart letztlich auch an den Markt zu bringen. Der Beitrag erscheint am 18. Mai 2017.

Der Essay Planen insUngewisse. Lernkurven aus dem Foresight-Prozess des Kleinwagens Smart ist gerade bei Tredition erschienen.