Ein deutsch-chinesischer Blick auf Industrie 4.0, Service Engineering und Lehre  

Steffen Weimann mit den chinesischen Studierenden in Shenyang

20.01.2017 – 88 chinesischen Studierenden in 2,5 Wochen das Thema Service Engineering näher zu bringen – dieser Herausforderung hat sich Steffen Weimann gestellt. Der FOM-Dozent und Research Fellow des KCT KompetenzCentrum für Technologie- & Innovationsmanagement war für die FOM German-Sino School of Business & Technology in Shenyang im Einsatz. Dort hat er im Kooperationsstudiengang Elektrotechnik und Informationstechnik unterrichtet. Wie es zu dem Auslandsaufenthalt kam, was bei der Lehre im Reich der Mitte zu beachten ist und welche Rolle Service Engineering in China und Deutschland spielt, erklären Steffen Weimann und Kai Zhang (Gesamtkoordinator der German-Sino School) im Doppelinterview.

Zum Einstieg eine Verständnisfrage: Was verbirgt sich hinter Service Engineering?

Steffen Weimann: Bei Service Engineering geht es darum, Dienstleistungen systematisch so zu gestalten, dass sie dem Kunden einen besseren Nutzen bringen – und zwar nicht nur im After-Sales-Bereich, sondern auch mit Blick auf Innovation im gesamten Geschäftsmodell. Vom Produkt zum Service. Unternehmen binden ihre Partner und Kunden in die Wertschöpfungskette ein, holen sich Feedback und optimieren auf dieser Basis ihre Arbeit. Zum Beispiel, wenn es um die Frage geht, welche neue Idee umgesetzt werden soll und welche nicht. Um Services zu gestalten, stehen eine ganze Reihe von Tools und Methoden zur Verfügung – von Personas und Service Blueprints über Service Spezifikation bis zu Value Proposition Design und Business Modeling.

Setzen viele Unternehmen auf Service Engineering?

Steffen Weimann: Sie sollten es. Schließlich müssen Dienstleistungsprozesse die Erwartungen der Kunden erfüllen. Sonst verliert man im schlimmsten Fall einen Kunden oder erntet negative Rezensionen in den einschlägigen sozialen Medien bzw. auf den entsprechenden Internetseiten. Dienstleistungen bieten bessere Möglichkeiten der Kundenbindung und damit auch attraktivere Erlösmodelle als Perspektive für Unternehmen. Mit der immer weiter fortschreitendenden Digitalisierung bieten sich zusätzliche Chancen der Standardisierung und Individualisierung.

In der Praxis ist es momentan allerdings so, dass sich bei vielen Unternehmen derzeitige Unternehmensstrukturen und -abläufe nicht für eine effiziente Entwicklung und Marktpositionierung neuer Dienstleistungen ausgelegt sind. Laut Studien ist die Entwicklung von Dienstleistungen bei etwa zwei Drittel der Unternehmen bisher nicht oder nur in geringem Umfang formalisiert. Hier schlummert noch viel Potential.

Wie sieht es in China aus?

Steffen Weimann: In China ist das Thema noch nicht in dem Maße angekommen wie in Deutschland. Das liegt vor allem am Stellenwert der Dienstleistungsbranche. Während bei uns die Produktion von Dienstleistungen 75 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmacht, sind es in China 50 Prozent. Shenyang beispielsweise ist eine typische Industriestadt. Für die hier ansässigen Unternehmen – darunter übrigens eine BMW-Niederlassung – sind Themen wie Industrie 4.0 und technologische Innovation in Zusammenhang mit der Strategie China 2025 hochaktuell. Service Engineering dagegen ist eher eine Nebensache.

Dann haben Sie den chinesischen Studierenden also ganz neue Impulse geliefert?

Steffen Weimann: Im Grunde genommen, ja. Mit Blick auf die Lehre war das eine echte Herausforderung. Schließlich wollte ich keine Gegenüberstellung machen, bei der China reduziert wird. Stattdessen habe ich mit den Grundlagen zum Thema Dienstleistungen angefangen und die Studierenden über einfache Beispiele an das Service Engineering herangeführt. Dieses Vorgehen kam gut an, die Studierenden waren mit viel Spaß dabei – so mein Eindruck.

Kai Zhang (Foto: Tom Schulte)

War die Lehre – unabhängig vom Thema – anders als in Deutschland?

Steffen Weimann: Mir war von Anfang an klar, dass ich in Shenyang einen ganz anderen Stil fahren musste als in einem Hörsaal an der FOM. Die deutschen Studierenden wollen in die Vorlesung eingebunden werden, sind direkter, selbstbewusster und kritischer. Die chinesischen Studierenden waren da sehr viel zurückhaltender…

Kai Zhang: Was natürlich nicht bedeutet, dass sie keine Fragen haben. Eine chinesische Studentin, die aktuell bei uns in Essen ist, hat dazu eine ganz interessante Präsentation gehalten. Ihre Botschaft: Auch wenn wir schüchtern sind, wollen wir den Dingen doch ganz genau auf den Grund gehen.

Steffen Weimann: Das kann ich nur bestätigen. In meine Vorlesungen habe ich nach und nach kleine Interaktionen eingebaut und damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Ein Beispiel: Am Ende jeder Veranstaltung habe ich Review-Fragen zu den Inhalten gestellt und mich dabei mitten unter die Studierenden gesetzt. Ich war erstaunt, welche Detailfragen dabei zur Sprache kamen. Eine Studentin hat mich mit einer sehr cleveren, in die Tiefe gehenden Frage nachhaltig beeindruckt.

Wie kam der Kontakt zwischen Ihnen beiden eigentlich zustande?

Kai Zhang: Über Prof. Dr. Rudolf Jerrentrup, der ebenfalls forschend am KCT KompetenzCentrum für Technologie- & Innovationsmanagement tätig ist. Er hat Steffen Weimann während eines Besuches in Essen kurzerhand in mein Büro gebracht und vorstellt. Nach einer kurzen Präsentation des Kooperationsprogramms „Elektrotechnik & Informationstechnik“ war er direkt Feuer und Flamme…

Steffen Weimann: China war für mich schon immer ein Thema. Da konnte ich gar nicht nein sagen.

Wie viele Studierende nehmen denn aktuell an dem Kooperationsprogramm teil?

Kai Zhang: Es sind knapp 90. Sie sind in diesem Wintersemester mit den Themen Service Engineering und Mikroprozessoren gestartet. Kommendes Jahr – also im 8. Fachsemester – kommen sie dann nach Deutschland.

Steffen Weimann: Darauf freuen sich die meisten von ihnen. Sie sind sehr beeindruckt von der Qualität und Effizienz deutscher Produkte und wollen größtenteils auch hier arbeiten.

Es gab also trotz der relativ kurzen Zeit, die Sie in Shenyang waren, Gelegenheit zu persönlichem Austausch?

Steffen Weimann: Das Pensum war in der Tat recht groß. Ich habe in den 2,5 Wochen 56 Unterrichtseinheiten abgedeckt – inklusive Klausuren. Abseits der Vorlesungen haben sich die Studierenden rührend um mich gekümmert und mich beispielsweise immer in die Mensa begleitet, um beim Bestellen behilflich zu sein. Ich habe mich sehr wohl gefühlt und bin definitiv ein Wiederholungstäter, was China betrifft.

Konnten Sie den Aufenthalt denn auch für Ihre Tätigkeit am KCT nutzen?

Steffen Weimann: Prof. Dr. Reiner Dudziak – seines Zeichens wissenschaftlicher Direktor Ingenieurwesen an der FOM German-Sino School of Business & Technology – hatte mich im Vorfeld mit Kontakten zu interessanten Unternehmen vor Ort versorgt. Aufgrund des straffen Zeitplans gab es allerdings keine Gelegenheit, die entsprechenden Besuche zu machen. Das werde ich definitiv nachholen, wenn es das nächste Mal nach Shenyang geht.

Nichtsdestotrotz hat der Aufenthalt in China dazu geführt, meine Perspektive zu erweitern – mit Blick sowohl auf das Thema Service Engineering als auch auf Industrie 4.0 generell. Das wird bei zukünftigen Forschungsaktivitäten definitiv eine Rolle spielen. Darüber hinaus bin ich gespannt auf das, was sich im Rahmen der Travelling Conference zur digitalen Transformation ergibt. Ich selbst bin vom 20. bis 27. Februar 2017 in China zwar nicht dabei, aber mit Prof. Dr. Jerrentrup und Prof. Dr.-Ing. Michael Schaffner nehmen gleich zwei KCT-Kollegen an diesem deutsch-chinesischen Dialog teil.