Demografie interdisziplinär: Vorsorgen – aber sinnvoll!  

Foto: Thinkstock/iStock
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05.08.2016 – Kann ein Weniger (an Menschen in Deutschland) auch ein Mehr (an Möglichkeiten für den Einzelnen) bedeuten? Mit dieser Frage haben sich Vertreterinnen und Vertreter der FOM Institute und KompetenzCentren befasst. Herausgekommen sind 13 individuelle Kurzbeiträge, die vielfältige Impulse und Denkanstöße liefern. Heute nimmt Prof. Dr. Dr. habil. Eric Frère junge Menschen ins Visier. Der Direktor des ifs Institute for Strategic Finance hinterfragt die Anlagestrategie von Young Professionals mit Blick auf die demografischen Herausforderungen.

Der demografische Wandel ist in den traditionellen Industrieländern, in Unternehmen und in den sozialen Sicherungssystemen der einzelnen Länder zu verschiedenen Zeitpunkten mit unterschiedlicher Geschwindigkeit erkennbar. Die Weltbevölkerung wird nicht mehr wachsen, sondern sich ab ca. 2070 reduzieren. Der Alterungsprozess ist in Deutschland trotz deutlicher Zuwanderung von ca. 800.000 Menschen seit 2010 evident, jeder Dritte wird ab 2060 über 65 Jahre alt sein. In Japan und Südkorea ist es noch offensichtlicher. Durchaus dramatisch wird die Entwicklung in China ab 2050 sein, wo der Anteil der über 65-Jährigen auf 23 Prozent steigen wird. Eine detaillierte Analyse der unterschiedlichen Wirkungsmechanismen ist für die Implikationen auf die Kapitalmärkte notwendig (Quiring, n.d., S. 1).

Aus Bankensicht haben sich in den letzten Jahren neben den gestiegenen regulatorischen Anforderungen auch die Kundenbedürfnisse sowie das Verhalten der Bankkunden allgemein verändert. Verstärkt ist das Thema Altersvorsorge in der Finanzberatung zu einem zentralen Thema geworden, da nahezu alle Bürgerinnen und Bürger davon ausgehen, dass die gesetzlichen Rentenansprüche nicht ausreichen werden, den gewohnten Lebensstandard im Alter beizubehalten, ohne entsprechende private Vorsorge zu betreiben (Vermögensbarometer 2013, S. 13). Diese Situation eröffnet insbesondere Anbietern von Sparprodukten für die Altersvorsorge, wie z. B. Fondssparpläne, Bausparpläne oder Kapitallebensversicherungen, neue Vertriebschancen. Früher war die private Altersvorsorge ein rein ergänzendes Mittel zur Verbesserung der finanziellen Situation im Alter. Nach der Rentenreform von 2001 ist die private Altersvorsorge notwendig zur Erhaltung des Lebensstandards im Alter. Hierdurch wächst der Kundenkreis für Finanzdienstleister stark (Wehlau 2009, S. 159).

Der Druck, sich zumindest mit der Thematik Altersvorsorge auseinanderzusetzen, erfordert eine verbesserte finanzielle Bildung der Gesellschaft. Die meisten Bürgerinnen und Bürger können sich nicht tiefergehend mit der Thematik auseinandersetzen, da sie unzureichend informiert sind. Lediglich die Hälfte aller Bürgerinnen und Bürger behauptet, sich mit der Altersvorsorge auszukennen (Vermögensbarometer 2013, S. 13). Die Kombination aus Notwendigkeit und Informationsmangel zur Altersvorsorge führt dazu, dass vielfach insbesondere im Bereich der Altersvorsorge professionelle Finanzberatung nachgefragt wird.

Junge Menschen sind in den kommenden Jahren eine wichtige Zielgruppe für Kreditinstitute. Die abnehmende Gesamtbevölkerung führt bei den Kreditinstituten langfristig zu einer abnehmenden Anzahl von Kundinnen und Kunden, wodurch es mittel- bis langfristig zu einem verstärkten Wettbewerb kommt. Ein Großteil der Kreditinstitute ist daher heute bereits darauf aus, junge Kundinnen und Kunden möglichst früh an ihr Institut zu binden. Dies führt anfangs zwar zu Verlusten, da der Jugendmarkt im Vergleich mit anderen Kundensegmenten nicht rentabel ist. Auf lange Sicht werden die jungen Kundinnen und Kunden jedoch einerseits selber Vermögen aufbauen und andererseits sind sie die Erbengeneration der jetzigen wohlsituierten Generationen.

Wie reagieren junge Menschen – und hierbei insbesondere die Young Professionals – in ihrer Anlagestrategie auf die demografischen Herausforderungen? Trotz ihres Alters sparen sie mehr als der Bundesdurchschnitt, sodass sich ihre finanzielle Situation über Jahre hinweg deutlich besser entwickelt als im Bundesdurchschnitt. Young Professionals entscheiden zu 60 Prozent selbst, d. h. sie treffen ihre Anlageentscheidungen meist ohne professionelle Hilfe. Insbesondere das Vertrauen gegenüber Bankberatungen nimmt weiter ab. Kaufentscheidungen von Finanzprodukten basieren auf einer breiten Informationsbasis. Der Trend sowohl zu hybriden (vorinformierten) Kundinnen und Kunden als auch zur Selbstentscheidung ist deutlich erkennbar. Wie im Einzelhandel nutzen Young Professionals Beratungen von Banken und Finanzdienstleistern, jedoch schließen sie die Produktkäufe oftmals bei kostengünstigsten Online-Anbietern ab. Das Internet ist mittlerweile der wichtigste Absatzkanal für Finanzprodukte. Suchmaschinen sind im Kaufentscheidungsprozess für Kundinnen und Kunden von Banken eine wichtige Informationsquelle. Die Suchmaschinenoptimierung erscheint jedoch erforderlich, um den Kundinnen und Kunden entsprechende Informationen zur Verfügung zu stellen zu können. Der Vertriebsweg über das Internet könnte weiter optimiert werden, wenn das Bankangebot auf das Kundenbedürfnis ausgerichtet wird und das lokale Angebot der Filialen einbezogen wird (Reiter, J. et al. 2014, S. 9-11).

Das Vertrauensverhältnis zwischen Young Professionals und Finanzberatung ist insgesamt suboptimal. Die Weiterempfehlungsquote liegt auf einem niedrigen Niveau. Die Kundinnen und Kunden unterstellen der Finanzberatung eine heimliche Informationsbeschaffung persönlicher Daten (Reiter, J. et al. 2014, S. 13). Diese Ergebnisse sollten für Banken ein Anreiz sein, ihre traditionellen Vergütungsstrukturen für die Finanzberatung auf den Prüfstand zu stellen. Die klassische Entlohnung über durch den Vertragsabschluss generierte Provisionen erscheint nicht zielführend, wenn Kundinnen und Kunden den Abschluss online tätigen. Nur wenn die Qualität der Beratung stärker in den Fokus gestellt wird, ist eine entsprechende Entlohnung für die Beratung, wie z. B. ein Honorar, auch leichter umsetzbar. Dennoch besteht eine mangelnde Aufklärung bei der Honorarberatung. Ein Fünftel der Befragten kann sich unter Honorarberatung nichts vorstellen. Lediglich zwei Fünftel der befragten jungen Kundinnen und Kunden einer Bank sind bereit, ein Honorar für die Finanzberatung zu zahlen (Reiter, J. et al. 2014, S. 19).

Das allgemeine Finanzverständnis der Young Professionals ist auf einem hohen Niveau, aber es mangelt am Finanzproduktverständnis. Ihre Einschätzungen hinsichtlich Rendite, Risiko und Verfügbarkeit decken sich mit der Lehrbuchmeinung, gleichwohl ist ein detailliertes Finanzproduktverständnis im Anlageverhalten der Young Professionals nicht erkennbar. Sie investieren vornehmlich in provisionsbasierte Finanzprodukte, parallel ist eine Tendenz zu höheren Investitionen im Aktienmarkt erkennbar (Reiter, J. et al. 2014, S. 17).

Insgesamt gilt es, mit Blick auf die demografischen Herausforderungen, eine diversifizierte Anlage-/ Investmentstrategie zu wählen. „Diversifikation ist die beste Absicherung gegen Risiken. Auf den Finanzmärkten ist das längst Allgemeingut.“ (vgl. North 2013) Über den Kapitalmarkt können die Menschen in alternden Gesellschaften Kaufkraft von der Ansparphase in die spätere Rentenphase transferieren. Hierbei steht die mögliche Umstellung eines umlagefinanzierten auf ein kapitalgedecktes Altersversorgungssystem zur Disposition. Die Asset Allocation muss zum Zwecke des Vermögenserhalts die Wahrscheinlichkeit von Krisen explizit berücksichtigen. Zwar steigen Korrelationen in Krisenzeiten grundsätzlich an, dennoch bieten einige Assets auch in diesen Marktphasen Diversifikationspotenzial. Die Kernaussagen der Modernen Portfoliotheorie haben demnach weiterhin Gültigkeit (vgl. Rojahn, J. et al. 2010, S. 3-4).

Prof. Dr. Dr. habil. Eric Frère, Direktor des ifs Institute for Strategic Finance

 

Literatur

North, D. (2013): Einfach mal ausprobieren. Frankfurter Allgemeine. Frankfurt am Main. Retrieved from www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftswissen/die-weltverbesserer/douglass-north-einfach-mal-ausprobieren-12688614.html.

Quiring, C. (n.d.): Auswirkungen des demographischen Wandels auf soziale Sicherungssysteme und Kapitalmärkte in alternden Gesellschaften. Fidelity Worldwide Investment.

Reiter, J. / Frère, E. / Zureck, A. / Bensch, T. (2014). Finanzberatung: Eine empirische Analyse bei Young Professionals (3rd ed.). Essen.

Rojahn, J. / Röhl, C. W. / Frère, E. (2010): Optimum Portfolio ETF Indices. Essen.

Vermögensbarometer 2013 (2013). Berlin.

Wehlau, D. (2009): Lobbyismus und Rentenreform: Der Einfluss der Finanzdienstleistungsbranche auf die Teil-Privatisierung der Alterssicherung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

 

Die weiteren Beiträge der Reihe „Demografie interdisziplinär“ im Überblick: