Licht und Schatten: Ein Rundumschlag in Sachen Digitalisierung  

Prof. Dr. Christian Rüttgers, Burkhard Röhrig, Christoph Tönsgerlemann, Dr. Myriam Jahn, Prof. Dr. Stefan Heinemann, Prof. Dr. Gregor Schiele, Björn Zeien, Ulrich Kanders, Nomo Braun (v.l.; Foto: Heike Kandalowski)
Prof. Dr. Christian Rüttgers, Burkhard Röhrig, Christoph Tönsgerlemann, Dr. Myriam Jahn, Prof. Dr. Stefan Heinemann, Prof. Dr. Gregor Schiele, Björn Zeien, Ulrich Kanders, Nomo Braun (v.l.; Foto: Heike Kandalowski)

05.07.2016 – Das Weihwasserbecken ist noch Teil des Eingangsbereichs, die hohen Bögen des Innenraums sorgen für eine beeindruckende Akustik, durch die farbigen Fenstergläser fällt gedämpftes Licht auf das Rednerpult. Kurzum: Das Lighthouse – eine abrissbewahrte Kirche in Essen-Fronhausen – bietet den idealen Rahmen für eine Veranstaltung des Wissenschaftssommers. Das Thema an diesem Juniabend lautet „Industrie 4.0: Zukunftsmotor für die Essener Wirtschaft?“. Der Gastgeber: Prof. Dr. Stefan Heinemann, Prorektor Kooperationen der FOM Hochschule, Repräsentant des zdi-Zentrum MINT-Netzwerk Essen und Vorsitzender der Initiative Wissenschaftsstadt Essen. Hinter der Veranstaltung stehen zudem der Essener Unternehmensverband EUV, die IHK für Essen, Mülheim an der Ruhr, Oberhausen zu Essen, der Essener Wirtschaftsförderungsgesellschaft mbH und der Universität Duisburg-Essen.

Auf die Vorträge und Diskussionen eingestimmt werden die rund 80 Gäste von Rudolf Jelinek. Der 1. Bürgermeister der Stadt Essen betont: „Industrie 4.0 ist mehr als nice-to-have. Essen braucht eine digitale Offensive, um auch in Zukunft seine Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und Standortvorteile für die Ansiedlung neuer Unternehmen zu haben.“ Die Voraussetzungen dafür seien vorhanden: Essen sei eine Stadt voller Energie und Wissensdurst – und habe gute Aussichten, eins von insgesamt fünf Zentren für digitale Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen zu werden.

Dass die Auseinandersetzung mit dem Thema Digitalisierung langfristig und institutionalisiert angegangen wird, ist ganz im Sinne von Burkhard Röhrig. Der Geschäftsführer der GFOS GmbH und Vorstandsvorsitzende des VDMA Fachverbandes Software stellt klar: „Die vierte industrielle Revolution wird nicht in ein paar Jahren abgeschlossen sein. Sie ist ein evolutionärer Prozess, der nur möglich ist mit den entsprechenden Investitionen.“ Momentan sähe es dabei allerdings mau aus. Im Mittelstand fließe beispielsweise weniger als ein Prozent der Investitionen in die IT. Damit lasse sich Industrie 4.0 nicht realisieren. Zudem warnt der Experte davor, allein die technische Seite in den Fokus zu stellen. „Bei der Gestaltung von Industrie 4.0 kommen die Menschen oft zu kurz. Dabei sollten sie sowohl die wichtigste und entscheidende Instanz sein als auch als Gewinner aus dem Prozess hervorgehen.“ Bei GFOS spreche man daher inzwischen von „Industrie 4.0 human“.

Für die Zuhörerinnen und Zuhörer, die in diesem Begriffsdschungel ein klein wenig die Orientierung verloren haben, liefert Prof. Dr. rer. nat. Gregor Schiele im Anschluss eine Art Standortbestimmung. „Industrie 4.0 ist ein Kunstbegriff“, so der Experte für Eingebettet Systeme der Informatik von der Universität Duisburg-Essen. „Die Versionierung hat man gewählt, weil die Software der entscheidende Aspekt bei der Entwicklung ist.“ Das „Internet der Dinge“ wiederum werde entweder als technische Grundlage oder Verallgemeinerung von Industrie 4.0 gesehen, während sich hinter Big Data der Umgang mit den Daten verberge, die durch die Verknüpfung von Menschen, Maschinen und Produkte entstehen. Bei seiner Reise durch intelligente Fabriken und Wertschöpfungsketten, Smart Products und Services lässt Prof. Dr. Schiele aber auch die Herausforderungen nicht unter den Tisch fallen, die mit Industrie 4.0 verbunden sind. In Sachen Sicherheit und rechtliche Fragen bestehe beispielsweise noch Klärungsbedarf. Und auch das Thema Standards dürfe man nicht unterschätzen.

Was passiert, wenn die Digitalisierung im Arbeitsalltag ankommt, macht Prof. Dr. Christian Rüttgers deutlich. Der stellvertretende wissenschaftliche Direktor des ipo Institut für Personal- & Organisationsforschung hat über 500 Berufstätige zu ihren Erfahrungen mit der digitalen Transformation befragt. Eines der Ergebnisse: „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, deren Arbeitstage und -zeiten mit Hilfe eines digitalen Personaleinsatzplanungssystems geplant werden, weisen signifikant höhere Werte sowohl bei der emotionalen Bindung an ihr Unternehmen als auch bei ihrer Arbeitszufriedenheit auf“, so Prof. Dr. Rüttgers. Ähnlich positive Effekte erzielen die verstärkte Nutzung mobiler Informations- und Kommunikationstechnologie zur flexiblen Gestaltung der Arbeitszeit. Allerdings offenbaren die Befragungsergebnisse auch Schattenseiten. Der ipo-Experte: „Viele nutzen die mobilen Geräte, um zusätzlich zuhause zu arbeiten. Dadurch stellen sich ein Gefühl der ständigen Erreichbarkeit und technologiegetriebener Arbeitsdruck ein.“

Wie in der Praxis mit diesen Vor- und Nachteilen umzugehen ist und was die Digitalisierung konkret für Essen bedeutet, steht im Zentrum der sich anschließenden Dialogrunde. Nach einer Anmoderation durch Prof. Dr. Stefan Heinemann entwickelt sich eine intensive Diskussion, an der neben den drei Referenten weitere Expertinnen und Experten teilnehmen: Ulrich Kanders (Hauptgeschäftsführer EUV Essener Unternehmensverband), Dr. Myriam Jahn (Geschäftsführerin ifm datalink), Nomo Braun (Senior Consultant Agiplan GmbH), Christoph Tönsgerlemann (Wirtschaftsprüfer / Steuerberater, Vorsitzender des Vorstands ETL AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft) und Björn Zeien (Leitung Stabsbereich Politik und strategische Netzwerke opta data Gruppe).

Auch im Rahmenprogramm kommt das Thema Industrie 4.0 übrigens nicht zu kurz: An einem Stand wird das Projekt FlexLapplus vorgestellt. Die FOM als Partnerin des zdi-Zentrums MINT-Netzwerk Essen entwickelt mit weiteren Kooperationspartnern – dem zdi-Netzwerk Perspektive Technik im Kreis Unna und der Hochschule Ruhr West als Partnerin des zdi-Zentrums mint4u Bottrop – mobile Experimentiersets für den Einsatz in der Sekundarstufe II. Mithilfe dieser FlexLabs erhalten Schülerinnen und Schüler Gelegenheit, Versuche zu 3D-Druck und neuen Werkstoffen durchzuführen – und zwar ohne ihre Klassenzimmer zu verlassen. Das Projekt mit dem vollen Titel „FlexLabplus Industrie 4.0 – Entwicklung von Experimentiersets zu neuen Produktionsmethoden“ wird im Rahmen des Förderprogramms EFRE-zdi II vom NRW-Wissenschaftsministerium und dem NRW-Wirtschaftsministerium gefördert.

Stefanie Bergel, Referentin Forschungskommunikation