„Gestaltungsorientierte Forschung zielt ab auf eine Veränderung der Welt“  

Prof. Dr. Fahri Yetim
Prof. Dr. Fahri Yetim

30.05.2016 – Am 15. Juni spricht Prof. Dr. Fahri Yetim auf der European Conference on Information Systems (ECIS) in Istanbul. Sein Thema: die Reflektion und damit Verbesserung gestaltungsorientierter Forschung. Was es damit auf sich hat, erklärt der FOM-Experte im Interview.

Wie würden Sie einem Laien gestaltungsorientierte Forschung erklären?

Prof. Dr. Fahri Yetim: Am einfachsten in Abgrenzung zur empirischen oder verhaltensorientierten Forschung. Im Gegensatz zu diesen beiden will gestaltungsorientierte Forschung die Welt nämlich nicht nur verstehen, sondern auch verändern. Ein Beispiel: Während es der empirischen oder verhaltensorientierten Forschung darum geht, das Einkaufsverhalten von Menschen zu erklären, werden in der gestaltungsorientierten Forschung Systeme oder Prototypen entwickelt, mit deren Hilfe sich dieses Verhalten verändern lässt. Aus der Arbeit mit diesen Systemen oder Prototypen lassen sich wiederum abstrakte Gestaltungsprinzipien, Handlungsempfehlungen oder Modelle für die Wissenschaft ableiten. Zur Anwendung kommt dieser Ansatz zum Beispiel im Management, in der Wirtschaftsinformatik und im Ingenieurwesen, kurz: überall da, wo es um die Bedürfnisse und Reaktionen von Menschen geht.

Zielsetzung des von Ihnen entwickelten Modells, das Sie in Istanbul vorstellen, ist die Verbesserung dieses Forschungsprozesses…

Prof. Dr. Fahri Yetim: Ich sehe es eher als einen Qualitätsmechanismus… Es soll Forschende dabei unterstützen, ihre Arbeit und den anschließenden Publikationsprozess rational zu reflektieren und fußt u.a. auf der Diskurstheorie von Habermas. Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass klassische Guidelines zum Erstellen wissenschaftlicher Publikationen ein Defizit haben. Sie legen fest, was in Einleitung, Methodenteil oder Zusammenfassung eines Beitrags zu stehen hat. Sie laden nicht ein, Ziele und Mittel bzw. Methoden des Forschungsprozesses zu hinterfragen und über diese wertbezogen zu reflektieren.

Lässt sich das an einem Beispiel festmachen?

Prof. Dr. Fahri Yetim: Nehmen wir ein Forschungsprojekt mit dem Ziel, Umweltfreundlichkeit zu fördern und das Verhalten von Verbraucherinnen und Verbrauchern entsprechend zu verändern – und zwar mittels sozialer Einflussfaktoren. Dazu wurden an den Mülleimern der Probanden Kameras angebracht, die entsprechenden Bilder auf Facebook zur Verfügung gestellt. Gutes Verhalten – strikte Mülltrennung oder geringe Produktion von Müll – wurde zudem mit Punkten belohnt.

Mein Modell besteht u.a. aus einem Katalog von Fragen. Mit ihrer Hilfe lassen sich die Ziele und das Design der Untersuchung sowie die zum Einsatz kommenden Mittel mit Blick auf mögliche erwünschte und unerwünschte Konsequenzen kritisch reflektieren: Wird das Ziel des Projektes wirklich über dieses Untersuchungsdesign erreicht? Berührt oder verändert das Design vielleicht Werte über die Umweltfreundlichkeit hinaus? Hat es negative Konsequenzen, dass die Privatsphäre der teilnehmenden Personen in Mitleidenschaft gezogen wird? Die Antworten helfen, das Untersuchungsdesign ggfs. anzupassen oder zu verändern und dadurch zu verbessern. In meinem Vortrag zeige ich vor allem die Anwendbarkeit des Modells, um solche wertbezogenen Reflektionen und Entscheidungen in einem Forschungsprojekt auch in der Publikation der Forschungsergebnisse systematisch zu artikulieren.

Dieser Fragenkatalog ermöglicht also eine Art externer Sicht auf die Forschung.

Prof. Dr. Fahri Yetim: Ganz genau. Mehrere Köpfe arbeiten bekanntermaßen besser als einer, und mit Hilfe meines Modells lässt sich diese externe Perspektive simulieren. Schlecht wäre ein Design, das nicht hinterfragt und reflektiert wird. Es würde unter Umständen falsche Ergebnisse liefern.

Anfang Juni findet an der FOM ein erstes Gespräch zur Gründung eines KompetenzCentrums im Bereich Wirtschaftsinformatik statt, an dem Sie auch teilnehmen werden. Wird das Thema gestaltungsorientierte Forschung dort auch eine Rolle spielen?

Prof. Dr. Fahri Yetim: Forschung in der Wirtschaftsinformatik ist per se gestaltungsorientiert. Deshalb werden das Thema und auch mein Modell dabei sicherlich zu Sprache kommen. Ein weiterer Schwerpunkt meiner Forschung ist zudem die Interaktion zwischen Mensch und IT: Was bewirkt IT beim Menschen? Und wie kann man IT so gestalten, dass menschliche Faktoren berücksichtigt werden? Die beiden passen ja leider nicht immer so gut zusammen…

Konkrete Themen sind beispielsweise das Internet der Dinge und auch Big Data. Ich befasse mich mit der menschlichen Seite und untersuche u.a. wie sich die immer größer werdende Datenflut am besten bewältigen lässt.