Demografie interdisziplinär: Zahlen – Daten – Fakten  

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27.05.2016 – Kann ein Weniger (an Menschen in Deutschland) auch ein Mehr (an Möglichkeiten für den Einzelnen) bedeuten? Mit dieser Frage haben sich Vertreterinnen und Vertreter der FOM Institute und KompetenzCentren befasst. Herausgekommen sind 12 individuelle Kurzbeiträge, die vielfältige Impulse und Denkanstöße liefern. Heute demonstriert Prof. Dr. Joachim Schwarz vom ifes Institut für Empirie & Statistik, anhand eines Gedankenspiels, mögliche Auswirkungen des demografischen Wandels auf das öffentliche Leben.

Der demografische Wandel gehört zu den viel diskutierten Themen der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung. Insbesondere der Geburtenrückgang, die höhere Lebenserwartung und die zunehmende Überalterung der Bevölkerung stehen im Fokus der Aufmerksamkeit (vgl. bspw. Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2011, S.3). Doch weist der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Prof. Dr. Peter Strohschneider, darauf hin, dass dies „nur eine von vielen Dimensionen dieses gesellschaftlichen Veränderungsprozesses“ (Strohschneider 2013, S.1). ist. Im Rahmen eines stark vereinfachten Gedankenspiels lassen sich auch mögliche positive Aspekte der demografischen Entwicklung aufzeigen. Exemplarisch sollen Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf das Abfallaufkommen und den Wasserverbrauch betrachtet werden. Dazu wird auf Datenmaterial und Prognosen des Statistischen Bundesamtes und des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) zurückgegriffen.

  1. Prognose der Bevölkerungsentwicklung des Statistischen Bundesamtes

Das Statistische Bundesamt hat in seiner 12. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung verschiedene Annahmen zur Geburtenentwicklung, Entwicklung der Lebenserwartung und Entwicklung der Zuwanderung getroffen und unter diesen Annahmen verschiedene Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung bis zum Jahr 2060 in der Bundesrepublik Deutschland entwickelt. Die für das vorliegende Gedankenspiel relevanten Zahlen sind dort entnommen worden.

Basierend auf der Annahme einer annähernd konstanten Geburtenhäufigkeit, eines Anstiegs der Lebenserwartung von acht Jahren (bei Männern) bzw. sieben Jahren (bei Frauen) und eines Wanderungssaldos von 100.000 oder 200.000 Personen pro Jahr, prognostiziert das Statistische Bundesamt für das Jahr 2060 eine mittlere Bevölkerung zwischen 65 und 70 Millionen Einwohnern gegenüber 82 Millionen Einwohnern im Jahr 2008 (vgl. Statistisches Bundesamt 2009, S. 5). Im Jahre 2060 werden also in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 10 und 15 Millionen Bundesbürger weniger leben.

  1. Abfallaufkommen und Wasserverbrauch nach Daten des BMU

Das BMU stellt Daten zum Abfallaufkommen und zur Wasserwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland zusammen und greift dazu auf Material des Statistischen Bundesamtes zurück. So sind im Jahr 2010 in Deutschland insgesamt 332,6 Mio. Tonnen Abfall angefallen, davon 49,2 Mio. Tonnen Siedlungsabfälle (vgl. Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 2013, S. 7), d. h. Abfälle, die auf private Haushalte zurückgehen. In 2010 entspricht dies 600 Kilogramm Abfall pro Person: Davon machen Haushaltsabfälle 533 Kilogramm pro Person aus; damit erzeugt jeder Bundesbürger pro Tag knapp 1,5 Kilogramm Hausmüll.

Das BMU liefert auch Informationen zum Wasserverbrauch in Deutschland. So verbrauchte im Jahr 2009 jeder Bundesbürger pro Tag 122 Liter Wasser, auf das Jahr hochgerechnet bedeutet dies einen personenbezogenen Jahresverbrauch von 44.530 Liter Wasser. Auf 80,3 Millionen Einwohner hochgerechnet, ergibt dies gut 3571 Milliarden Liter Wasser im Jahr 2009. Zum Vergleich: Der Starnberger See, nach dem Bodensee der wasserreichste deutsche See, enthält ca. 3000 Milliarden Liter Wasser.

  1. Das Gedankenspiel

Angenommen, das Abfallaufkommen und der Wasserverbrauch werden sich bis zum Jahr 2060 nicht ändern, bedeuten zwischen 10 Mio. und 15 Mio. weniger Einwohner auch eine entsprechende Reduktion des Abfallaufkommens und des Wasserverbrauchs. Es würden also nicht mehr 43,8 Mio. Tonnen Haushaltsabfälle entstehen, sondern nur noch zwischen 35,5 Mio. Tonnen und 38,2 Mio. Tonnen. Würden zudem nicht mehr 80,3 Mio. Bundesbürger 122 Liter täglich verbrauchen, sondern lediglich zwischen 65 Mio. und 70 Mio. Bundesbürger, dann betrüge der Jahresverbrauch zwischen 2894 Milliarden Liter und 3117 Milliarden Liter Wasser. Der Starnberger See, heute noch zu klein, würde zukünftig also für ein Jahr ausreichen.

Nun ist in einem Land wie Deutschland, in dem es Wasser im Überfluss gibt (so wird vom verfügbaren Wasserangebot in Deutschland etwa ein Sechstel entnommen, vgl. BMU 2011, S. 3) weniger die Wassereinsparung an sich von zentraler Bedeutung. Vielmehr kann in der möglichen Energieeinsparung ein wirklich positiver Begleitaspekt für das Wasser sparen gesehen werden. So weist die Arbeitsgemeinschaft für sparsamen und umweltfreundlichen Energieverbrauch e. V. (ASUE) darauf hin, dass pro Duschvorgang je nach Energieträger zum Erhitzen des Wassers zwischen 1,69 KWh und 2,85 KWh Energie verbraucht werden (vgl. ASUE 2003, S. 3, die von 50 Liter Wasser Verbrauch pro Duschvorgang ausgeht). Angenommen, jeder Bundesbürger duscht an 182 Tagen im Jahr bei einem Energieverbrauch von 2 KWh pro Duschvorgang, so bedeuten zukünftig zwischen 65 Mio. und 70 Mio. Bundesbürger gegenüber 80,3 Mio. Bundesbürgern heute eine Energieeinsparung alleine für das Duschen zwischen ca. 3640 GWh und 5460 GWh Energie pro Jahr. Zum Vergleich: Ein deutsches Kernkraftwerk erzeugt derzeit ca. 11.000 GWh Bruttoenergie pro Jahr.

  1. Fazit

Das Gedankenspiel gibt einen Hinweis auf mögliche positive Aspekte der zu erwartenden demografischen Entwicklung in Deutschland. Hierbei sind Veränderungen in Lebens- und Konsumgewohnheiten sowie neuere technologische Entwicklungen noch nicht berücksichtigt. Hinzu kommen weitere indirekte positive Effekte, wie etwa am Beispiel des geringeren Energieverbrauchs im Zuge des geringeren Wasserverbrauchs verdeutlicht wurde. Genauso wird auch weniger Energie für die Entsorgung des Haushaltsabfalls verbraucht, etwa für den Transport zu den Recyclingstätten. Hinzu kommt der Nutzen für das Klima im Zuge der geringeren Mengen in der Müllverbrennung und dem damit verbundenen geringeren CO2-Ausstoß.

An dieser Stelle soll aber nicht verschwiegen werden, dass reduzierter Wasserverbrauch und reduziertes Abfallaufkommen keinesfalls nur positiv gesehen werden. So wird etwa über möglicherweise erhöhte Aufwendungen für das Spülen von Abwasserleitungen diskutiert. Hinzu kommt, dass Müllverbrennungsanlagen und die öffentliche Wasserversorgung bzw. Abwasserbeseitigung auch einen Wirtschaftsfaktor darstellen. So arbeiten etwa allein in der Abwasserbeseitigung und Wasserversorgung bundesweit ca. 100.000 Menschen.

Natürlich sind die vorgestellten Betrachtungen und Berechnungen lediglich Gedankenspiele. Dennoch: Schon ein einfaches Gedankenspiel wie das vorliegende stellt einen Weg dar, wie mit wenigen Angaben mögliche zukünftige Entwicklungen abgeschätzt und quantifiziert werden können. Genauso können auch die Auswirkungen anderer Aspekte der demografischen Entwicklung grob abgeschätzt werden, was wiederum Hinweise auf Handlungsimplikationen für Politik und Gesellschaft geben kann. Und genau so ist dieses Gedankenspiel auch zu verstehen: nämlich als Anregung, eine ähnliche Abschätzung für den jeweils interessierenden Aspekt einfach mal durchzuführen.

Prof. Dr. Joachim Schwarz, ifes Institut für Empirie & Statistik

 

Quellen

ASUE Arbeitsgemeinschaft für sparsamen und umweltfreundlichen Energieverbrauch e.V. (2003): Damit die Energierechnung nicht zur kalten Dusche wird.

BMU Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (2011): Wasserwirtschaft in Deutschland.

Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2011): Demografischer Wandel, Heft 1: Bevölkerung- und Haushaltsentwicklung im Bund und in den Ländern, Ausgabe 2011.

Statistisches Bundesamt (2009): Bevölkerung Deutschlands bis 2060, 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, Begleitmaterial zur Pressekonferenz am 12. November 2009 in Berlin.

Statistisches Bundesamt (2013): Zensus 2011, ausgewählte Ergebnisse, Tabellenband zur Pressekonferenz am 31. Mai 2013 in Berlin.

Strohschneider, P. (2013): „Einladung zur Lektüre“, forschung – das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Spezial Demografie, S. 1.

 

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