Demografie interdisziplinär: Studium ist für alle da  

Foto: Thinkstock/iStock
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15.04.2016 – Kann ein Weniger (an Menschen in Deutschland) auch ein Mehr (an Möglichkeiten für den Einzelnen) bedeuten? Mit dieser Frage haben sich Vertreterinnen und Vertreter der FOM Institute und KompetenzCentren befasst. Herausgekommen sind 12 individuelle Kurzbeiträge, die vielfältige Impulse und Denkanstöße liefern. Heute zeigt Prof. Dr. Marco Zimmer, Direktor des ipo Institut für Personal & Organisationsforschung, Möglichkeiten auf, die eine Durchlässigkeit im Bildungssystem eröffnen können, um dem demografisch bedingten Fachkräftemangel zu begegnen.

Durchlässigkeit ist ein Thema, das in der hochschulpolitischen Diskussion seit den Bologna-Reformen eine immer wichtigere Rolle spielt. Durchlässigkeit soll erreicht werden zwischen unterschiedlichen Aus- und Weiterbildungsformen – der Übergang von der dualen Ausbildung zu einer akademischen Ausbildung und umgekehrt soll durch Anerkennung von erreichten Qualifikationen vereinfacht werden. Es soll aber auch die Durchlässigkeit zwischen Berufs- und Ausbildungsphasen in den individuellen Biographien erhöht werden, etwa durch zunehmende Angebote berufsbegleitender Studiengänge.

Beide Formen der Durchlässigkeit dienen nicht zuletzt der Bewältigung des drohenden bzw. in einigen Bereichen bereits akuten Fachkräftemangels. Die FOM hat dem Thema Durchlässigkeit eine hochschulpolitische Tagung im Hochschulzentrum München gewidmet. Im Kontext dieser Tagung wurde folgendes Interview mit dem wissenschaftlichen Direktor des ipo und Organisator der Tagung, Prof. Dr. Marco Zimmer, geführt.

Warum ist das Thema Durchlässigkeit für Deutschland so wichtig?

Es gibt viele Gründe: Bildungsgerechtigkeit und Standortsicherung beispielsweise. Zwei zentrale Punkte möchte ich herausgreifen: Zum einen führen die gestiegenen und sich stetig weiterentwickelnden Anforderungen im Beruf dazu, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich regelmäßig fortbilden sollten. Stichwort: lebenslanges Lernen. Immer mehr Aufgaben am Arbeitsplatz erfordern akademisches Wissen. Eine Möglichkeit, dieses zu erlangen, ist ein berufsbegleitendes Studium.

Ein anderer Grund ist der mit dem demografischen Wandel einhergehende Fachkräftemangel, der auch die akademischen Berufe, insbesondere die MINT-Fächer, betrifft. Wenn der „klassische“ Arbeitskräftepool nicht mehr ausreicht, um den Bedarf der Unternehmen zu decken, müssen neue Zielgruppen für Beruf und Ausbildung erschlossen werden. Das können u. a. Menschen ohne Abitur sein, denen aufgrund ihrer beruflichen Erfahrung ein Hochschulzugang gewährt wird. Oder Personen, die sich zunächst für eine duale Ausbildung entschieden haben und diese durch eine akademische Ausbildung ergänzen oder vertiefen. Ich denke auch an Berufsrückkehrer nach einer Familienphase, die einen beruflichen und qualifikatorischen Neustart anstreben.

Welche Herausforderungen bringt die Durchlässigkeit für die Hochschulen mit sich?

Auf der didaktischen und organisatorischen Ebene müssen sich Hochschulen mit neuen Zielgruppen auseinandersetzen: Die „neuen Studierenden“ sind älter und bringen häufig weniger Zeit, aber wesentlich mehr praktische Berufserfahrung mit als die typischen grundständigen Vollzeitstudierenden. Sie haben zum Teil mehr Praxiserfahrung als ihre Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer und sind geneigt, die ihnen vermittelten theoretischen Konzepte auf praktische Sinnhaftigkeit und Anwendbarkeit zu hinterfragen. Viele Studierende begegnen den Hochschullehrenden auf Augenhöhe. Dem Vorsprung an theoretischem Wissen der Hochschullehrenden steht ein Mehr an praktischer Erfahrung auf Seiten der Studierenden gegenüber.

Diese „neuen Studierenden“ fordern mehr Flexibilität von Seiten der Hochschule: Die Studierenden haben häufig weitere Verpflichtungen und nicht die Möglichkeit, jederzeit eine Vorlesung oder ein Seminar zu besuchen. Sie wünschen sich planbare Blockungen von Veranstaltungen – auch einmal an einem Wochenende – oder die Möglichkeit, versäumte Veranstaltungen mittels E-Learning nachzuholen. Dies sind Anforderungen, auf die der Hochschulbetrieb in weiten Teilen noch nicht eingestellt ist.

Wie wichtig ist die Öffnung der Hochschullandschaft im nationalen und internationalen Kontext?

Gerade im internationalen Kontext spielt die Öffnung eine herausragende Rolle. Das Ziel von Bologna war nicht nur, Master- und Bachelorstudiengänge einzuführen. Es geht auch um die Anerkennung von im Ausland erworbenen Bildungsabschlüssen und die Möglichkeit, diese durch weitergehende Studien an deutschen Hochschulen zu vertiefen. Ebenso sind Migranten und Personen mit Migrationshintergrund eine Zielgruppe, die im Rahmen der oben erwähnten Vergrößerung des Arbeitskräftepools immer wieder genannt wird.

Welche Lösungsansätze gibt es bereits?

Im Bereich der öffentlichen Hochschulen wurden in den letzten Jahren – oft gefördert durch nationale oder EU-Förderprogramme – viele Konzepte entwickelt, die die obengenannten Zielgruppen ansprechen. Beispielhaft seien hier genannt: E-Learning oder Blended-Learning Angebote, die es Studierenden erlauben, ihr Studium flexibler zu gestalten. Möglich sind auch Teilzeitstudienangebote, die auf eine größere Vereinbarkeit von Studium und Beruf oder Familienverpflichtungen abzielen. Im größeren Maße wird dieses Feld zur Zeit von den privaten Hochschulen bespielt, die sich mit ähnlichen Angeboten, wie den gerade genannten oder mit an die Bedürfnisse von Berufstätigkeiten angepassten Zeitmodellen des Studiums diese Zielgruppe frühzeitig erschlossen haben.

Welche Rolle spielt die Politik dabei?

Die Politik hat mit der weitgehenden Öffnung der Hochschulen durch entsprechende Änderungen in den Landeshochschulgesetzen und mit der Eröffnung der Möglichkeit von Teilzeitstudiengängen im grundständigen Studium in vielen Bundesländern, in den letzten Jahren viel getan. Sicherlich bleiben da noch Wünsche offen, wie etwa die Möglichkeit der Anrechnung von Lehrveranstaltungen im weiterbildenden Studienangebot auf das Lehrdeputat von Hochschullehrenden oder weitere Optionen zur Flexibilisierung des Studienangebots. Generell sehe ich aber den Ball zurzeit im Feld der Hochschulen, die die gesetzlich vorhandenen Optionen in Studienangebote umsetzen sollten.

Prof. Dr. Marco Zimmer, Direktor des ipo Institut für Personal- & Organisationsforschung

 

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