„Schlechte Ingenieure helfen nicht beim Fachkräftemangel“  

Prof. Dr. Stefan Heinemann
Prof. Dr. Stefan Heinemann

Laut OECD-Studie entscheiden sich deutsche Schulabgängerinnen und Schulabgänger besonders häufig für ein Studium oder eine adäquate Berufsausbildung in MINT-Fächern. Insgesamt 40 Prozent. Damit liegt Deutschland deutlich über dem OECD-Durchschnitt von 26 Prozent. Woher das große Interesse kommt und ob es auch an der FOM Hochschule zu spüren ist, erläutern Prof. Dr.-Ing. Jochen Remmel und B.Eng. Daniel Kipp vom in Gründung befindlichen KCQ KompetenzCentrum für industrielle Entwicklung & Qualifikation und Prof. Dr. Stefan Heinemann, Leiter des zdi-Zentrums Essen und Prorektor Kooperationen an der FOM Hochschule.

Woher kommt das große Interesse an MINT-Fächern?

Prof. Dr. Stefan Heinemann: Die guten Argumente pro MINT-Studium sind nicht unbekannt: durchschnittlich höheres Einstiegsgehalt, sehr gute Karriereaussichten, spannende Tätigkeiten – um nur einige zu nennen.

Prof. Dr.-Ing. Jochen Remmel: Auch an den Schulen hat sich in den vergangenen Jahren einiges verändert. Früher ist man eher zur Technikfeindlichkeit erzogen worden, da wurde mehr Wert auf Kunst und Musik als auf Physik und Chemie gelegt. Das hat sich in der Lehrerausbildung widergespiegelt. Inzwischen hat – ausgelöst nicht zuletzt durch den vermeintlichen Fachkräftemangel und die damit einhergehenden Forderungen der Industrie – ein Umdenken stattgefunden. Es werden mehr Lehrer in Richtung Technik ausgebildet, gleichzeitig setzt die MINT-Förderung bereits in den kleinsten Einheiten an. Also in Kitas und Schulen.

Bundesbildungsministerin Johanna Wanka sagt mit Blick auf die guten Zahlen: „Unsere zahlreichen bildungspolitischen Anstrengungen, junge Leute für MINT-Berufe zu begeistern, zahlen sich aus.“ Was haben das zdi-Essen bzw. der Hochschulbereich Ingenieurwesen unternommen, um für diese Themen zu begeistern?

Prof. Dr. Stefan Heinemann: Im zdi-Essen sind wir seit 2010 erfolgreich in der engagierten MINT-Förderung für junge Menschen in der Industriemetropole Essen. Mit über 200 Partnern aus Bildung, Wirtschaft und Politik erreichen wir von der Kita über die Schulen aller Formen bis zum Studium mit vielen Maßnahmen über die ganze Bildungskette hinweg die Talente von morgen und übermorgen. Die Kids machen dabei wichtige berufs- und studienorientierende Erfahrungen und bekommen authentische Eindrücke zum Beispiel aus MINT-Unternehmen.

Prof. Dr.-Ing. Jochen Remmel und B.Eng. Daniel Kipp (r.)
Prof. Dr.-Ing. Jochen Remmel und B.Eng. Daniel Kipp (r.)

Prof. Dr.-Ing. Jochen Remmel: Die FOM versucht sich an den vielen Informationsangeboten zu beteiligen, die von Akteuren aus Wirtschaft, Bildung und Politik aufgesetzt. Angefangen beispielsweise beim Girls Day bis zu Formaten wie der WissensNacht Ruhr. Darüber hinaus gehen wir im Rahmen von Maßnahmen wie Rent your FOM Prof in die Schulen oder bieten Schnuppervorlesungen zu den Themenbereichen Ingenieurwesen und Technik an.

Seit Frühjahr 2015 führen wir zudem in Kooperation mit dem zdi-Zentrum MINT-Netzwerk Essen Feriencamps „zdi hebt ab“ zur Studien und Berufsorientierung für Schülerinnen und Schüler durch. Dabei erhalten die Teilnehmenden Einblicke in Studiengänge und Berufe aus den Bereichen Luftfahrttechnik, Maschinenbau und Elektrotechnik. Sie besuchen beispielsweise einen Flughafen und bauen selbst eine Drohne zusammen.

B.Eng. Daniel Kipp: Eine Sache darf man dabei aber auch nicht vergessen: Seit 2009 ermöglicht die FOM Meistern, Technikern und Gesellen auch ohne (Fach-)Abitur ein Hochschulstudium. Das erleichtert den Weg ins Ingenieurwesen ungemein. Ich musste nach meiner Ausbildung zum Industriemechaniker noch das Fachabitur nachholen, bevor es zum Studium an die Technische Fachhochschule in Bochum ging.

Wie funktioniert in Ihren Augen guter MINT-Förderung?

Prof. Dr. Stefan Heinemann: Die Frage ist ein wenig so wie die Frage an Michael H. Okuda, wissenschaftlicher Berater von Star Trek, wie denn das „Beamen“ funktioniere. „Gut, danke“, war seine weise Antwort. Letztlich gibt es wohl um die 15 bis 20.000 MINT-Initiativen in Deutschland und gute 200 Netzwerke wie die alleine über 40 zdi`s in Nordrhein-Westfalen. Und ein Kochrezept kenne ich auch nicht. Aber einige Ingredienzen für ein gutes Rezept können wohl benannt werden.

MINT-Botschafter, Personen aus unterschiedlichen Bereichen, die für das Thema brennen und bereit sind, oft ja auch im Ehrenamt, hier aktiv zu werden. Das gilt auch für die Profis: Wenn Lehrerinnen und Lehrer zum Beispiel über ihren anspruchsvollen Schulalltag hinaus MINT-Projekte stemmen, ist das aller Ehren wert. Um engagierte Akteure zu unterstützen, braucht es zudem Strukturen. Hier ist NRW mit seinen seit 2006 wachsenden, insgesamt über 40 zdiZentren Vorreiter, aber auch in anderen Bundesländern gibt es viele tolle Modelle. Zudem in Berlin mit der Bundesinitiative MINT Zukunft schaffen. Was hier fehlt, sind sicher Mittel für nachhaltigere Strukturen. Wieso generell die Schulen in Deutschland nicht mit klarer Priorität durchfinanziert werden, erschließt sich mir weder als Ökonom noch als MINTler. Neben Akteuren und Strukturen sind die Kommunikation und das gute alte Netzwerken wesentlich. Was auch zunehmend über soziale Medien funktioniert und die Akteure insgesamt enger zusammen bringt und die Strukturen tendenziell effizienter macht. Als vierte und letzte Zutat erscheint mir ein dicker Löffel mutige Ideen wichtig. Immer wieder nach vorne Denken, wie erreicht und motiviert man junge Menschen? Wie erreicht und motiviert man Mädchen? Wie können wir die Übergänge zwischen den strukturellen Stufen so gestalten, dass MINT nicht nur ein lustiger Ausflug, eine nette Exkursion oder ein spaßiges Experimentieren bleibt? Viele Frage, auf die ich – wie gesagt – nicht alle Antworten kenne. Aber einiges scheint mit im zdi-Zentrum Essen durchaus beispielhaft gelungen.

B.Eng. Daniel Kipp: Eine Kleinigkeit lässt sich da mit Blick auf die Zielgruppe vielleicht ergänzen: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich junge Menschen vor allem dann begeistern lassen, wenn sie direkt eingebunden werden und selbst Hand anlegen können. Es bringt absolut gar nichts, sie im Gänsemarsch durch Labore oder Firmen zu führen oder Vorträge zu halten, bei denen sie nicht aktiv werden können.

Schlägt sich Ihr Engagement auch in den Studierendenzahlen im Hochschulbereich Ingenieurwesen nieder?

Prof. Dr.-Ing. Jochen Remmel: Ein steigendes Interesse am Ingenieurberuf können wir durchaus feststellen. Inzwischen sind rund 1.000 berufsbegleitend Studierende im Hochschulbereich eingeschrieben. Pro Semester sind in der Regel auch drei bis vier Studentinnen dabei. Dadurch haben wir eine Frauenquote von ca. 15 Prozent. Das ist deutlich besser als an mancher öffentlichen Hochschule.

Welche Studiengänge sind besonders beliebt?

B.Eng. Daniel Kipp: Gefragt sind vor allem die Studiengänge aus den Bereichen Maschinenbau und Wirtschaftsingenieurwesen.

Warum?

B.Eng. Daniel Kipp: Das liegt meiner Ansicht nach vor allem daran, dass allgemein gehaltene Studiengänge wie Maschinenbau, in denen man sich Grundkenntnisse aneignet, die beste Basis für eine gute berufliche Zukunft sind.

Prof. Dr.-Ing. Jochen Remmel: Wer sich frühzeitig spezialisiert – zum Beispiel auf Fahrzeugtechnik oder regenerative Energien – schränkt schon von Beginn an seine Möglichkeiten ein. Oftmals gibt es gar nicht genug Unternehmen, die als potenzielle Arbeitgeber in Frage kommen. Empfehlenswerter ist es, sich im Studium breit aufzustellen und sich dann im Job zu spezialisieren oder nach einer gewissen Zeit der Berufstätigkeit einen entsprechenden Master draufzusetzen.

Hat wer sich in Sachen MINT beruflich und/oder akademisch qualifiziert nicht ohnehin eine Jobgarantie?

Prof. Dr. Stefan Heinemann: Eine Jobgarantie gibt es nicht, aber es gilt: Die Aussichten sind relativ zu vielen anderen Berufen besser, aber am Ende kommt es auf die individuelle Leistung an. Schlechte Ingenieure helfen nicht beim Fachkräftemangel.

Prof. Dr.-Ing. Jochen Remmel: Dem kann ich nur beipflichten. Auch gute Noten sind in der Regel keine Garantie für einen Job. Die Absolventen sollten vielmehr breiter aufgestellt sein und zusätzliche Eigenschaften mitbringen wie Kreativität, Mobilität, Teamfähigkeit und soziale Kompetenz. Das erhöht die Chancen auf einen Job. Die FOM Absolventen sind hier sehr gut aufgestellt. Schließlich bringen sie sowohl akademisches Know-how als auch Berufserfahrung mit und werden deshalb gerne von Unternehmen genommen.

B.Eng. Daniel Kipp: Dadurch haben sie einen großen Vorsprung gegenüber Uni-Absolventen: Sie wissen, wie der Joballtag aussieht und haben unter Beweis gestellt, dass sie gut mit anderen zusammenarbeiten können – zum Beispiel im Rahmen von Projekten im Verlaufe ihres Studiums.

Wie soll es in Zukunft weitergehen? Kann das MINT-Engagement angesichts dieser positiven Entwicklungen jetzt zurückgefahren werden?

Prof. Dr. Stefan Heinemann: Warum sollten wir ein erfolgreiches Engagement zurückfahren, das noch dazu der DNA unseres Auftrages als FOM bzw. zdi-Essen entspricht? Es gibt einen Bedarf in den Arbeitsmärkten und es ist unsere Aufgabe hier akademische Lösungen anzubieten. Dies im Konzert mit Forschungsaktivitäten und der MINT-Förderung.