„Das Thema Vertrieb muss auf eine wissenschaftlich fundierte Basis gestellt werden“  

Prof. Dr. Jörg Westphal von der FOM Hochschule
Prof. Dr. Jörg Westphal (Foto: Tom Schulte)

Ende November ist das KompetenzCentrum für Vertriebsmanagement feierlich an der FOM Hochschule in Bonn eröffnet worden. Im Interview verrät der wissenschaftliche Leiter des KCV, Prof. Dr. Jörg Westphal, welche Forschungsprojekte die neu gegründete Einrichtung ins Visier nimmt.

Warum ist das KCV gerade jetzt eröffnet worden?

Prof. Dr. Westphal: Vertrieb gewinnt immer mehr an Bedeutung. Schließlich beeinflusst er eine Säule der Gewinngleichung. Deswegen ist es an der Zeit, dass das, was an US-amerikanischen Universitäten schon seit Jahren gang und gäbe ist, auch in Deutschland Einzug hält: Vertrieb auf eine wissenschaftlich fundierte Basis zu stellen.

Es gibt einige wenige Hochschule, die das bereits praktizieren. Zum Beispiel die WHU in Koblenz, die sogar als Eliteuniversität ausgewiesen ist, und die Ruhruniversität in Bochum, die demnächst mit einem Master im Sales Management startet. Man kann also überall erkennen, dass die wissenschaftliche Bearbeitung vertrieblicher Themen an Bedeutung gewinnt. Deshalb muss die FOM als größte betriebswirtschaftliche Hochschule im deutschsprachigen Raum mit voranschreiten.

Welche Forschungsprojekte stehen auf der KCV Agenda?

Prof. Dr. Westphal: Es gibt unterschiedliche Themen, die wir weiterdenken wollen. Ein gutes Beispiel ist ein Kooperationsprojekt mit Prof. Dr. Oliver Gansser vom ifes Institut für Empirie & Statistik, das unter dem Stichwort Vertriebsmonitor läuft. Wir wollen untersuchen, wie sich die Vertriebsagenda von Unternehmen mit den Erwartungen der einkaufenden Partner zusammenbringen lassen. Idealerweise wird das Ganze als Panel aufgelegt, um es auch längsschnittanalytisch verfolgen zu können.

Gibt es Diskrepanzen zwischen Ver- und Einkauf?

Prof. Dr. Westphal: Unsere Hypothese lautet, dass die Erwartungen der Einkaufsseite nicht 100-prozentig erfüllt werden. Das bedeutet für Unternehmen, die nicht in der Lage sind, die Erwartungen ihrer Kunden zu erfüllen, einen Wettbewerbsnachteil. Oder – positiv ausgedrückt – einen Gewinn für all jene, denen es gelingt, die Erwartungen weitestgehend zu erfüllen.

Man kann sich als Verkäufer also nicht auf die eigenen Produkte und Dienstleistungen sowie deren Vorteile konzentrieren, sondern muss auch einen Blick auf die Bedürfnisse des jeweiligen Kunden werfen?

Prof. Dr. Westphal: Exakt. Was ja nun wirklich keine neue Erkenntnis ist. Der Kunde bestimmt, was gebraucht wird, und nicht das verkaufende Unternehmen. Aber das ist genau eine der Problematiken, die wir heutzutage in vielen Unternehmen haben, dass man viel zu sehr aus der eigenen Produktnabelschau heraus verkauft.

Wie lassen sich die jeweiligen Erwartungen denn herausfinden und erfüllen?

Prof. Dr. Westphal: Verkaufende Unternehmen müssen sich stärker mit ihren Kunden auseinandersetzen. Sie müssen sie nicht nur kennen, sondern auch verstehen. Wo verdienen die Kunden beispielsweise Geld oder verlieren es? Und wie lässt sich über das angebotene Produkt hinaus Wertschöpfung erzeugen? Mein Credo ist, vielleicht etwas flapsig formuliert: Alle Verkäufer auf der Welt verkaufen das gleiche Produkt, und es heißt „Ich helfe meinem Kunden, mehr Geld zu verdienen.“

Wie wollen Sie zusammen mit Prof. Dr. Gansser feststellen, wo da die Lücken sind?

Prof. Dr. Westphal: Wir wollen Umfragen starten. Das Ganze kann nur empirisch laufen und zeigt gleichzeitig eine der großen Stärken der FOM Hochschule: Wir können auch funktions- und bereichsübergreifend Experten an Themen arbeiten lassen.

Läuft dieses Thema auch unter dem Schlagwort „Insight Selling“, das Sie ins Zentrum Ihres Vortrags bei der KCV Eröffnung gestellt hatten?

Prof. Dr. Westphal: Insight Selling geht sogar noch einen Schritt weiter. Es bedeutet, dass ich meinen Kunden so gut kenne, dass ich sogar selbst Wertschöpfungsimpulse setzen kann. Also gar nicht erst darauf warte, dass der Kunde mit Bedürfnissen kommt, sondern ich bei ihm latent vorhandene Bedürfnisse proaktiv auslösen kann. Das wird man nicht bei jedem Neu-Kunden hinbekommen, den kennt man noch zu wenig. Aber es bedeutet eben, in eine Kundenbeziehung zu investieren. Das ist möglicherweise nicht sofort umsatzwirksam, wird sich aber langfristig verzinsen. Erst wenn ich einen Kunden aus langfristigen Geschäftsbeziehungen heraus kenne, habe ich den Stoff, neue Ideen in das Unternehmen hereinzutragen und die Zusammenarbeit wertschöpfend über den reinen Produktverkauf hinaus zu gestalten. Das setzt voraus, dass man langfristig gut zusammengearbeitet und auch Vertrauen aufgebaut hat.

Was bedeutet das für die Ausbildung von Vertrieblern?

Prof. Dr. Westphal: Das ist die entscheidende Frage: Haben wir genügend qualifizierte Vertriebsmitarbeiter, die das leisten können? Das ist natürlich ein sehr hehrer Anspruch. Und wenn man sich die klassische Ausbildung im Vertrieb ansieht, so war sie vor nicht allzu langer Zeit nicht mal akademisch geprägt. Das hat sich in den vergangenen Jahren erheblich geändert. Wir brauchen jetzt junge Menschen – und da ist auch die FOM ganz weit vorne – die mit diesen Themen in der vertrieblichen, akademischen Ausbildung konfrontiert worden und in der Lage sind, dieses Verständnis und dieses Bewusstsein für ein anderes Umgehen mit dem Kunden und ein anderes Verkaufen zu platzieren.

Wie spiegelt sich das in der Lehre an der FOM Hochschule wider?

Prof. Dr. Westphal: Das zieht sich durch das gesamte berufsbegleitende Master-Studium Sales Management. Wir haben entsprechend qualifizierte Modulverantwortliche, die sich permanent mit den Neuerungen im Vertrieb auseinandersetzen und diese Themen auch in die Curricula einarbeiten. Darüber hinaus – und das steht in den Leitlinien des KCV – setzen wir auf eine enge Zusammenarbeit mit Unternehmen und Praktikern. Aus dieser Zusammenarbeit – zu der ich nachdrücklich einladen möchte – gewinnen wir weitere Impulse für unsere Lehre.