Zwischen Recht und Wirklichkeit: Bilanz nach einem Jahr Anspruch auf einen Krippenplatz
Ein Schritt in die richtige Richtung, aber definitiv noch ausbaufähig. Diese Bilanz fällten die Referenten und Teilnehmer der Tagung „Der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz – ein Jahr danach“ am 31. Oktober in Essen. Hintergrund der Veranstaltung: Seit August 2013 haben Eltern einen gesetzlichen Anspruch auf einen Krippenplatz. Experten aus Wissenschaft und Praxis beleuchteten die Thematik aus unterschiedlichen Perspektiven und traten dabei immer wieder in Diskussion mit ihren rund 50 Zuhörern.
Den Anfang machten Prof. Dr. Marco Zimmer und Prof. Dr. Christian Rüttgers vom ipo Institut für Personal- & Organisationsforschung an der FOM Hochschule. Die beiden Wissenschaftler stellten die Ergebnisse einer Befragung vor, die sie – mit Unterstützung der Zeitschrift ELTERN – unter rund 500 Müttern und Vätern durchgeführt hatten. Demnach halten nur sechs Prozent der Befragten, die schon vor dem August 2013 mal einen Krippenplatz gesucht haben, das Verfahren heute für schneller oder einfacher als früher. Vor allem würde sich ein Großteil der Eltern mehr Flexibilität bei den Betreuungszeiten wünschen, stellten die Experten heraus.
Mit Blick auf die Betreuungseinrichtungen leiteten sie aus diesen Erkenntnissen eine Reihe von Handlungsempfehlungen ab – zum Beispiel die Kombination aus Kernzeit- und Randzeitbetreuung, die Eltern abhängig vom individuellen Betreuungsbedarf buchen können. Auch eine Kooperation unter oder eine Zusammenlegung von verschiedenen Einrichtungen sei denkbar. Zudem sehen Prof. Dr. Zimmer und Prof. Dr. Rüttgers auch die Unternehmen in der Pflicht. Ein professionelles Personalmanagement könne durch Angebote wie flexible Arbeitszeiten oder Home-Office vielen berufstägigen Eltern die Betreuung ihrer Kinder erleichtern.
Dass auch von Seiten des Gesetzgebers noch Handlungsbedarf besteht, stellte Dr. Silvia Lucht von der Kanzlei Bernzen Sonntag heraus. Der Grund: Auf Länderebene werde der Rechtsanspruch ganz unterschiedlich umgesetzt – egal, ob es um Antragsfrist oder Betreuungszeiten gehe. Bundesweit sei zudem zu erkennen, dass die Gesetze eher nicht von Praktikern gemacht werden, so Dr. Lucht. Das erschwere sowohl den Eltern als auch den Betreuungseinrichtungen den Umgang mit dem Rechtsanspruch.
Die europäische Brille setzte Dr. Antonia Scholz vom Deutschen Jugendinstitut e.V. auf. In ihrem Vortrag erklärte sie, wie der Rechtsanspruch auf frühkindliche Bildung und Betreuung u.a. in Großbritannien und Schweden umgesetzt wird. Ihr Fazit: Deutschlands Ausweitung des Rechtsanspruchs auf Kinder unter drei Jahren folgt einem international verbreiteten Muster. Es sei langfristig zu erwarten, dass der gesicherte Zugang zu Kinderbetreuung mehr Frauen die Erwerbstätigkeit ermögliche.
Für den Blick in die Praxis sorgten Miriam Hoheisel und Claudia Schnetzke. Miriam Hoheisel vom Bundesverband alleinerziehender Mütter und Väter e.V. nahm dabei die Perspektive Alleinerziehender ein und stellte heraus: Es besteht Verbesserungsbedarf! Nach wie vor würden beispielsweise Ganztagsangebote fehlen, und für Alleinerziehende seien Betreuungslücken ein existentielles Problem. Sie nahm aber auch die Arbeitgeber ins Visier. Noch würden sich Eltern dem Arbeitsmarkt anpassen, aber zukünftig sollten sie in ihrer Rolle als Mitarbeiter auch ein Mitspracherecht bei Lage der Arbeitszeit und Ort der Arbeit haben. Auf diese Weise könne eine bessere Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Fürsorgeaufgaben gewährleistet werden.
Die Lage in den Unternehmen stand auch im Zentrum des Vortrags von HR Beraterin Claudia Schnetzke. Auch sie betonte: In den Firmen sei ein Umdenken dringend erforderlich. Zwar seien sich viele Unternehmen der Notwendigkeit einer familienorientierten Personalpolitik bewusst, noch würden aber Angebote und Möglichkeiten zur Förderung von Familien fehlen. Claudia Schnetzke schlug zum Beispiel Programme für junge Mütter vor, die schnell wieder ins Arbeitsleben zurückkehren möchten. Auch eine weitere Flexibilisierung der Arbeitszeiten sowie die Verlagerung der Arbeitsorte könnten die verschiedenen Lebens- und Entwicklungsphasen von Mitarbeitern berücksichtigen.
Wer sich ausführlicher mit den Beiträgen aller Referenten auseinandersetzen möchte, dem sei der im Waxmann Verlag erschienene Sammelband empfohlen. Eine Kurzfassung der Ergebnisse der Elternumfrage der FOM-Professoren Dr. Marco Zimmer und Dr. Christian Rüttgers steht zudem als PDF-Datei zu Verfügung.
Stefanie Bergel, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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