„Wenn das Konzept der Nachhaltigkeit wirklich greifen soll, müssen wir es auf unsere Gesellschaft übertragen“  

Prof. Dr. Jan Jonker ist zu Gast auf der CSR-Konferenz der FOM Hochschule vom 18. bis 19. April in Köln. Der Niederländer gilt als Vordenker in Sachen Nachhaltigkeit und stellt in seinem aktuellen Buch einen ganz neuen Ansatz vor: die Weconomy. Was sich dahinter verbirgt, verrät der Experte im Interview.

In den kommenden fünf bis zehn Jahren stehen uns Engpässe in Energie, Nahrung und Rohstoffen bevor. Was tun?

Jan Jonker: Wir müssen das Konzept der Nachhaltigkeit auf unsere Gesellschaft übertragen. Das bedeutet: Wir müssen die Grenzen unserer Vorstellungskraft überschreiten und uns ganz neue Lösungen und Wege suchen. Und dabei müssen wir uns beeilen. Wir können nicht weitere zehn Jahre vergeuden.

Das heißt konkret?

Jan Jonker: Es reicht beispielsweise nicht aus, Energie zu sparen oder vom Auto auf das Fahrrad umzusteigen. Das Licht aus den Glühbirnen ist verschwendet und muss recycelt werden. Wir brauchen Autos, die ohne Strom, Gas oder Benzin, aber mit Sonnenenergie auskommen. Und wir sollten auch unser Dusch-Konzept ändern und auf Trocken-Duschen umsteigen.

Ein radikaler Ansatz…

Jan Jonker: Wenn ich meine Ideen Unternehmensvertretern vorstelle, sehen die mich an, als sei ich verrückt. Aber als ich vor zehn Jahren anfing, über Corporate Social Responsibility und Nachhaltigkeit zu sprechen, habe ich dieselben Blicke geerntet. Inzwischen leite ich die Abteilung „Sustainable Entrepreneurship“ an der Universität Nijmegen, habe über 20 Bücher geschrieben und arbeite mit einer Gruppe von rund 200 Forschern zusammen.

Sie nennen Ihren Ansatz CSR 3.0 oder Weconomy…

Jan Jonker: Richtig, denn ich bin überzeugt: Um Nachhaltigkeit auf unsere Gesellschaft zu übertragen, sind nicht nur die Unternehmen gefragt. Auch die Regierungen und wir selbst müssen aktiv werden. Wir müssen – getreu unserer neuen Rolle als „prosumer“ – nachhaltige, innovative Produkte einfordern und nutzen. Die Regierung muss Regulierungen zurückfahren und Rahmenbedingungen schaffen, um Innovationen zu ermöglichen. Und die Unternehmen müssen schließlich neue, nachhaltige Produkte entwickeln und vertreiben.

Sind wir bereit für solche Veränderungen?

Jan Jonker: Wir befinden uns definitiv in einer Phase des Umbruchs. Denken Sie an den Buchmarkt: Immer mehr Leser steigen von Büchern auf Kindle & Co. um. Oder an Unternehmen wie Kodak. Die Firma war über 150 Jahre führend im Bereich Fotoausrüstung. Der Niedergang hat nur sieben Jahre gedauert, und inzwischen konzentriert sich das Unternehmen auf die Herstellung von Druckmaschinen. Noch werden allerdings viele Innovationen im Bereich Nachhaltigkeit blockiert…

Zum Beispiel?

Jan Jonker: Viele Unternehmensvertreter klagen, dass sie mit innovativen Vorschlägen vor Wände laufen. Es sei einfach schwierig und frustrierend, zu versuchen, sämtliche Stakeholder zufrieden zu stellen. Die Folge: Sie geben auf. Ein gutes Beispiel ist auch die Finanzkrise. Statt neue Lösungen für die Probleme zu finden, haben wir auf alte Instrumente zurückgegriffen. Das klassische Geldsystem hat sich selbst blockiert.

Wie könnte ein neues System aussehen?

Jan Jonker: Wir müssen uns von dem Gedanken lösen, das Geld die einzig mögliche Währung ist. Warum kann ich nicht auch Zeit, Energie, Aufmerksamkeit, Stille und Pflege zur Bank bringen? Wenn ich beispielsweise drei Stunden meiner Zeit opfere, um in einem Pflegeheim zu helfen, würde ich diese drei Stunden gerne auf einem Konto einzahlen. Wenn ich dann selber pflegebedürftig bin, möchte ich diese Zeit zurückbekommen – inklusive Zinsen selbstverständlich.

Noch gibt es kein System, um dieses Konzept umzusetzen, aber ich möchte die CSR-Konferenz nutzen, um darauf aufmerksam zu machen und ein Umdenken zu initiieren. Zudem habe ich kleine Beispiele im Gepäck, die zeigen, dass die Weconomy funktionieren kann.

Können Sie auch jetzt schon eins nennen?

Jan Jonker: Die meisten meiner Studierenden tragen Jeans – eines der Kleidungsstücke, das die größte Umweltverschmutzung verursacht. Gleichzeitig verschwenden wir jede Menge Milch, die aus den Regalen genommen wird, wenn das Verfallsdatum abgelaufen ist. Eine deutsche Ingenieurin hat ein Verfahren entwickelt, bei dem aus Milch Baumwolle gewonnen wird. Und diese Baumwolle wird wiederum genutzt, um Jeans zu produzieren. Sehr schicke Jeans im Übrigen.

Was ich damit sagen möchte: Im Kleinen gibt es schon Lösungen für unser Problem. Da draußen arbeiten brillante Leute daran, innovative Ideen umzusetzen – und die sozialen Medien helfen ihnen dabei immens. Jetzt wird es Zeit, dass auch große Unternehmen aktiv werden und das Feld nicht nur den Start-ups überlassen.

Jan Jonker arbeitet als Professor an der Nijmegen School of Management (NSM) der Radboud University Nijmegen und leitet die Abteilung „Sustainable Entrepreneurship“. Bislang hat er 23 Bücher sowie über 150 Artikel zum Thema veröffentlicht. Er hält viele (öffentliche) Vorträge und war als Gast-Professor u.a. an Hochschulen in den US, Dänemark, Australien, Italien, Spanien, Norwegen, Marokko und Polen im Einsatz. Aktuell konzentriert sich Jonker in seiner Forschungsarbeit auf die Frage, wie sich Unternehmen auf nachhaltige Art und Weise organisieren können. In einem seiner internationalen Projekte, an dem u.a. auch die FOM Hochschule beteiligt ist, geht es zum Beispiel um neue Geschäftsmodelle.